Sektsüßer Irak-Talk

Krieg oder Diplomatie, Terrorangst oder Shoppingwahn: Der britische Schriftsteller Ian McEwan las aus seinem Roman „Saturday“ und zeigte sich vor allem als Verwirrter

Das passt schon alles ganz gut zusammen, am Dienstagabend im Renaissance Theater. Der Saal schmuck und etwas piefig, die beigefarbenen, samtenen Sitzreihen bis auf den letzten Platz gefüllt, das Licht kommt von einem Kronleuchter, Sektsüße liegt in der Luft. Die Bühne wird nach hinten von einem schweren, dunkelroten Vorhang abgeschlossen, davor stehen zwei Stühle und ein Tisch, die wirklich schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel haben oder sehr gute Imitate sind.

Der englische Autor Ian McEwan hat sich angekündigt. Er will aus seinem aktuellen Roman „Saturday“ lesen und er passt ganz wunderbar in diese heimelige Atmosphäre. Die ersten Operngläser werden gezückt, als McEwan auf die Bühne tritt. Welche intimen Details man damit erspähen mag, ist unbekannt, daher nur das Wesentliche: McEwan ist ein gut aussehender Mann Ende fünfzig, er trägt einen dunklen Anzug, dazu braune, halbhohe Lederschuhe, mit seiner Brille und dem doch schon schütteren Haar wirkt er wie ein Physiknobelpreisträger.

Es ist schon ziemlich heiß im Saal, als McEwan schließlich das Wort ergreift. Mit klarer Stimme und in feinem Oxford-Englisch erzählt er von seinem ersten Berlin-Besuch im Jahr 1987 und wie er sich wunderte, dass damals kaum ein deutscher Autor zu dem alles beherrschenden Thema der Zeit, der Mauer, schrieb. Die Mauer sei Thema der Journalisten, nicht der Autoren, wurde ihm geantwortet.

Mit „Saturday“ hat McEwan das alles beherrschende Thema unserer Zeit aufgegriffen, und dabei nicht nur 9/11 und den folgenden Irakkrieg behandelt, sondern auch fast schon prophetisch – der Roman erschien im Frühjahr – die Anschläge auf die Londoner Innenstadt vorhergesagt. Hört man in „Saturday“ durchweg nur die eine Stimme des Chirurgen Henry Perowne in seinen endlosen inneren Reflexionen, so sind es bei der Lesung zwei: McEwan und sein Übersetzer Bernhard Robben lesen abwechselnd Teile des Romans vor.

„Mit der Plastikgabel in der Hand fragt er sich oft, wie es sein würde – das Geschrei in der Kabine, vom ohrenbetäubenden Lärm übertönt, die hektische Suche nach Telefonen und letzten Worten, das Flugpersonal, das sich in seiner Angst krampfhaft an die Vorschriften klammert, und der alles durchdringende Gestank nach Scheiße.“ Heiter klingt das nicht, doch der entspannten Stimmung im Saal tut das keinen Abbruch. Was ganz gut passt: McEwan betont, dass es ihm gerade darum gegangen sei zu zeigen, dass wir, die Flugreisenden und westlichen Metropolen-Bewohner, eben trotz der Terrorangst ruhig und normal unserem Leben nachgehen. Wie heißt es an anderer Stelle im Roman: „Lieber Einkaufen als beten.“

Doch ist Kriegführen auch besser als diplomatische Lösungen? Das ist die Frage, die Autor und Übersetzer nach der Lesung diskutieren. Denn Perowne, McEwans mit allerhand autobiografischen Eigenschaften ausgestatteter Held, argumentiert im Buch mehr oder weniger unverblümt für den gewaltsamen Einmarsch im Irak.

„Yes, let’s talk about Iraq“, schmunzelt McEwan. Seine Freunde seien durch die Bank gegen den Krieg gewesen, während in ihm irgendwann nur mehr eine „totality of confusion“ geherrscht habe: Eines Nachts um vier sei er aufgewacht und habe seine Frau geweckt. Er habe sie um die Nummer einer Bekannten gebeten, die für Tony Blair arbeitete. Auf der Stelle habe er diese Bekannte anrufen wollen – und wenn sie ihn nur für eine halbe Stunde mit Blair verbinden könne, er würde ihn von den Kriegsplänen abbringen. Die Antwort seiner Frau sei kurz und trocken gewesen: „Dreh dich um und schlaf, du bist müde.“

SEBASTIAN FRENZEL