COMING OF AGEDie Geschichte dreier Außenseiter: „Ein unbesiegbarer Sommer“ von Wendi Stewart
: Vertrieben aus dem Paradies der Kindheit

Ein toller Satz ist dem Debüt der kanadischen Autorin Wendi Stewart vorangestellt: „Mitten im Winter habe ich einen unbesiegbaren Sommer in mir entdeckt.“ Er stammt von Albert Camus, aus seinem autobiografischen Essay „Heimkehr nach Tipasa“. Die Grundstimmung des Buchs ist damit ganz gut getroffen. Und wenn man außerdem weiß, dass es bei Camus um den Ort seiner Kindheit geht, einst als paradiesisch empfunden, dann vielfach gebrochen, so ist das kein ganz unpassender Wegweiser in eine Geschichte, die von drei sehr jungen Menschen handelt, die allesamt aus ihren Kindheitsparadiesen vertrieben werden.

„Ein unbesiegbarer Sommer“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die in den frühen sechziger Jahren beginnt; angesiedelt in der Provinz Ontario im Südosten Kanadas, einer ländlichen Gegend mit vielen kleinen Farmen.

Die sechsjährige Rebecca lebt mit ihren Eltern Robert und Grace und dem kleinen Bruder Jake auf einer solchen Farm. Die Bindung zur Mutter ist innig. Im Umgang der Eltern miteinander, in kleinen Gesten deutet sich fein an, dass Robert seiner Frau nicht das Wasser reichen kann; dass Grace hier nicht wirklich am richtigen Platze ist.

Schon im zweiten Kapitel geschieht das Unglück: Bei einer Fahrt über den gefrorenen See bricht das Auto ein, der Vater kann nur die Tochter und sich selbst retten. Die Mutter und Jake ertrinken. Rebeccas bisherige Welt sinkt mit auf den Grund des Sees.

„Statt einer Familie hat mein Vater nur noch mich. Die Teamspieler sind verteilt, ich bin die Einzige, die übrig bleibt. Zu Hause auf dem Hof würde er den Kopf heben und mit einer Kinnbewegung Na komm! sagen, aber er hat schon aufgegeben, weil er weiß, dass er nicht gewinnen kann. Er würde den Ball auf der Erde liegen lassen, ins Haus schlurfen und all meine Bitten, doch zu bleiben, ignorieren.“ So nimmt Rebecca ihren Vater bei der Beerdigung wahr.

Robert lässt sich gehen, vernachlässigt Rebecca, kümmert sich nicht mehr um Haus und Hof. Stewart findet einen Ton, der nie gefühlig, aber nah an der Figur ist, wenn sie die Empfindungen des in seiner Trauer allein gelassenen Kindes beschreibt; die Spannung zwischen Vater und Tochter vermittelt sie oftmals indirekt über aussagestarke Situationen. Rebecca wird früh zur Verantwortung einer Erwachsenen gezwungen. Sie wird eine toughe, auch wütende Jugendliche, die ihre Gefühle verschließt; eine Außenseiterin in der provinziellen Umgebung.

Sie verbündet sich mit Chuck, der von seinem Vater geschlagen wird und wie ein Erwachsener arbeiten muss. Sie ist die Stärkere, aber auch sie ist jetzt weniger allein. Und schließlich treffen beide in der Schule auf Lissie. Sie steht aufgrund ihrer halbindigenen Herkunft und als Adoptivkind am Rande.

Wendi Stewart ist eine recht späte Debütantin. Die Journalistin stammt aus jener Ecke Kanadas, wo ihre ProtagonistInnen leben. Man meint in der unaufdringliche Präsenz der Landschaft, den so en passant erscheinenden Beschreibungen der landwirtschaftlichen Arbeit, des Umgangs mit den Tieren ihre Verbundenheit mit all dem zu spüren.

Stewart erzählt ihre Geschichte dreier AußenseiterInnen auf eine so klassische, schlichte Art, dass es fast altmodisch anmuten mag: keine chronologischen Sprünge, keine nur bei genauer Lektüre zu entdeckende Verknüpfung von Motiven, kein doppelter Boden. Aber in dieser Klarheit des Erzählens stecken viele feine Beobachtungen, aufmerksame Zeichnungen auch verschiedener erwachsener Nebenfiguren.

Am Ende sind die drei 19 Jahre alt, und dass sie an Aufbruch denken können, darin liegt die Hoffnung. Carola Ebeling

Wendi Stewart: „Ein unbesiegbarer Sommer“. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nagel & Kimche, München 2016,332 S., 22 Euro