Fidel Castro ist tot

Sein Sieg im Bürgerkrieg überraschte die Welt. 1959 zog der Revo­lutionär in Havanna ein. Fast 50 Jahre stand er an der Spitze Kubas

Ein Schock, keine Überraschung

REAKTIONEN Die Flaggen Kubas und der Revolution wehen auf halbmast, sonst ist wenig zu spüren

SANTIAGO DE CUBA taz | Ganz langsam und erst am Samstagmorgen kommt die Nachricht an. Während die internationalen Nachrichtenkanäle längst in Sondersendungen berichten, wachen die Kubaner ahnungslos auf. Im Fernsehen läuft eine unspezifische Dokumentation über den Revolutionsführer, der das Land über ein halbes Jahrhundert lang geprägt hat.

„Alles wie immer“, sagt ein Historiker, der sich als Juan Rodríguez vorstellt und anlässlich einer Konferenz in den Frühstücksraum seines Hotels schlendert. Erst als er die Flaggen auf halbmast sieht, begreift er es: Fidel Castro ist gestorben.

Dabei hatte Rodríguez mit seinen Kollegen eigentlich diskutieren wollen, wie man Santiago de Cuba, die Stadt, die für Castros revolutionäres Treiben so wichtig war, stärker in den Fokus des internationalen Tourismus rücken könnte.

Castro wurde zwar auf einer Ranch im nahe gelegenen Birán geboren, aber es war Santiago de Cuba, wo er schon in jungen Jahren auf ein Internat ging und später, 1959, den Sieg der Revolutionäre über den Diktator Fulgencio Batista feierte. Santiago de Cuba, sinniert der Historiker, ist also genau der richtige Ort an einem traurigen Tag wie diesem. Er zeigt auf ein anderes Mitglied seiner Gruppe, das fassungslos und mit Tränen in den Augen am Rande steht. „Er war ein Freund von Fidel und hat früher mit ihm zusammengearbeitet“, sagt Rodríguez. „Er hat es gerade erst gehört.“ Die ehemalige Englischlehrerin Nurys Baranda steht ebenfalls noch unter Schock. Sie hatte nach dem Aufstehen routinemäßig die Nachrichten von Telesur, einem von Venezuala aus gesendeten TV-Nachrichtenprogramm für Lateinamerika, eingeschaltet. „Ich habe sofort meinen Sohn und meine Tochter in Havanna angerufen, die es noch nicht wussten“, sagt sie. „Wir haben alle geweint.“ Die 57-Jährige macht sich besonders Sorgen darum, wie ihr Vater – ein ebenso kranker wie treuer „Fidelist“ – die Todesnachricht verkraftet.

In den ländlichen Gebieten rund um Santiago de Cuba und Granma, wo sich die Castro-Brüder mit Che Guevara und ihren Mitstreitern nach ihrem ersten Putschversuch zwei Jahre versteckten und ihre wachsende Zahl an Kämpfern ausbildeten, scheint das Leben nahezu unberührt von der Nachricht.

Die Flaggen – die kubanische und die der Revolution – wehen zwar überall auf halbmast, doch ansonsten sind keine sichtbaren Zeichen der Trauer über Castros Tod zu sehen: keine Kerzen oder Blumen vor dem Wandbildern. Stände und Geschäfte sind wie immer geöffnet. Selbst in Con­tramaestre, einem der wenigen Orte, wo sich ein frisch gemaltes Fidel-Porträt über ein ganzes Apartmentgebäude zieht, herrscht business as usual.

Dass die meisten ihrer Landsleute relativ gefasst sind, erklärt Nurys Baranda mit der langen Krankheit des Revolutions­führers. „Dies ist ein sehr trauriger Tag und ein großer Verlust“, sagt sie. „Fidel war uns Vater, Bruder und Führungsfigur. Aber er war alt und sehr krank. Sein Tod ist ein Schock, aber keine Überraschung.“

Jetteke van Wijk