: Das Unglück dieser Welt
FOTOKLASSIKER Bilder von einer großen landschaftlichen Schönheit und großem menschlichem Missgeschick. Bei C/O Berlin im Postfuhramt ist das Werk des großen US-amerikanischen Fotografen Joel Sternfeld zu sehen
VON BRIGITTE WERNEBURG
Der Fotograf Joel Sternfeld wuchs in New York in der Gegend des Rockaway Beach in Queens auf, wie er Anfang November erzählte, als er anlässlich der Eröffnung seiner großen Retrospektive bei C/O Berlin eine Lecture gab. Da habe er es nicht weit gehabt zum Park dort und zum Dubos Point Wildlife Sanctuary und sich deswegen viel in der freien Natur herumgetrieben. Mit der Zeit sei er auch ein ernsthafter Vogelbeobachter geworden. Ein Vogelkundler, möchte man sagen, ist er dann sein Leben lang geblieben.
Die einen Tick zu geschniegelten Praktikanten von der Wall Street in der Mittagspause. Der Rechtsanwalt, der mit seiner Wäsche offen im Arm am Zeitungsautomaten steht und völlig in seiner frisch gezogenen New York Times vertieft ist. Der Teenager, der mit Chanel-Täschchen und Kaninchen in der pinken Tragebox zum Einkaufen schlendert – die Bilder all dieser bunten Vögel, die in unserem Gedächtnis so lebhaft verankert sind, hat uns Joel Sternfeld beschert.
Und „bunt“ ist dann auch das entscheidende Stichwort für das Oeuvre des 1944 geborenen Künstlers. Joel Sternfeld hat immer in Farbe fotografiert. Er machte das schon in seinen bislang unveröffentlichten Anfängen, die nun das Entrée der Ausstellung im Postfuhramt bilden. Dass die Farbfotografie in den 70er-Jahren als künstlerisches Ausdrucksmittel mehr als umstritten war, möchte man angesichts dieser „First Pictures“ nicht glauben. Manchmal meint man Robert Franks „The Americans“ in Farbe zu sehen, ein anderes Mal Helen Levitt.
Noch fotografiert Sternfeld mit der Kleinbildkamera und erprobt seinen eigenen Stil, bevor er zur schweren Großbildkamera wechselt und sein Hauptwerk „American Prospects“ in Angriff nimmt, das inzwischen zum Kanon der zeitgenössischen Fotografie gehört. Acht Jahre lang, von 1978 bis 1986, reist er dafür in seinem VW-Bus durch die Vereinigten Staaten und hält mit großer Tiefenschärfe und feinnuancierter Farbe weite Panoramen von großer landschaftlicher Schönheit und großem menschlichen Missgeschick fest.
Das zeigt sich zum Beispiel in den schicken, aber schlecht angelegten Neubausiedlungen, denen der Grund unter den Häuser wegbricht. Immer aber durchkreuzt dieses Missgeschick die Verlockung zur romantischen Verklärung, die Sternfelds Fotografien stets inhärent ist und die sie riskant, deshalb aber auch reizvoll erscheinen lassen.
Nicht immer gelingt es, die Geschichte hinter dem Bild im Bild selbst in Szene zu setzen. Deshalb ergänzt Joel Sternfeld seine Aufnahmen später gerne durch Kommentare. Man blickt dann auf Idyllen und liest von Vergewaltigung und Mord. „On this Site“, eine Serie, die er von 1993 bis 1996 aufnahm, zeigt Tatorte: Der Innenhof des Hotels war 1968 Schauplatz des Mordes an Martin Luther King, die putzigen Einfamilienhäuser stehen auf chemieverseuchtem Boden und auf der harmlosen Straße verunglückte 1974 unter weiter nicht geklärten Umständen die Laborantin Karen Silkwood, die die kriminellen Machenschaften ihres Plutonium verarbeitenden Arbeitgebers öffentlich zu machen versuchte.
In diesem Bildessay gelingt Sternfeld die politische Aufklärung mit den Mitteln der dokumentarischen Fotografie, die ihm in der Videoinstallation „When it Changed“ missglückt. „Als es sich wandelte, das Klima“, so muss man wohl den Titel übersetzen, der dem Pessimismus Ausdruck gibt, mit dem Joel Sternfeld die Klimakatastrophe unabwendbar kommen sieht. Untermalt von einem Sound, wie man ihn von Thrillern kennt, wirkt das Video mit Porträts der erschöpften, ernüchterten und bedrückten Teilnehmer der Weltklimakonferenz 2005 in Montreal wie eine umständliche, wenig inspirierte Bußpredigt.
So ist es im Rundgang der Ausstellung ganz gut, nochmals zu den Anfängen zurückzugehen, als Joel Sternfeld sich neben Stephen Shore, Joel Meyerowitz und William Egglestone als einer der wesentlichen Protagonisten der amerikanischen New Color Photography etablierte. Damals entstand „Rush Hour“, die großartige Serie von New Yorker Passanten, angeblitzt und oft angeschnitten im Gedränge der Straße oder wegen der Schnelligkeit, mit der sie am Fotografen vorbeieilten. In der Gestik, der Energie, der Rücksichts- und Sorglosigkeit, die hier festgehalten ist, wird unkompliziert und fast nebenbei deutlich, wo das Unglück dieser Welt vielleicht überhaupt seinen Ursprung hat
■ Bis 13. 1. 2013, Joel Sternfeld, Retrospektive, C/O Berlin, Oranienburger Str. 35/36, tägl. 11–20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen