Vorrevolutionäre Zustände allüberall

TheaterSchauspielstudenten der Hochschule „Ernst Busch“ erschließen sich an der Schaubühne „Dantons Tod“

Heutzutage freut man sich schon über kleine Gesten. Die Schauspielstudenten der Hochschule „Ernst Busch“ nehmen sich des Revolutionsdramas „Dantons Tod“ an. Sie finden dabei sogar vorrevolutionäre Parallelen zum Heute. Gehörten vor dem Ausbruch der Französischen Revolution etwa zwei Prozent der Bevölkerung Frankreichs – also den ersten beiden Ständen, dem Adel und dem Klerus – ungefähr drei Viertel des Landes, so dürfen sich die heutigen globalen Superreichen, die zahlenmäßig ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, schon über mehr als 50 Prozent des globalen Reichtums freuen.

Vorrevolutionäre Zustände also – mit dem Unterschied, dass die gegenwärtig hervorkrabbelnde Revolution eher eine sehr paradoxe mit reaktionären Zügen ist, mit den Marken Trump, Front National, AfD und so weiter. All das wäre ein hübscher Leseschlüssel erst zum Aufstand damals in Paris und dem folgenden, von Büchner in langen Szenen beschriebenen „roten Terror“ gewesen. Die von Peter Kleinert angeleitete Truppe legt diesen Schlüssel dann aber ganz schnell wieder aus der Hand und greift zum konventionellsten aller Theatermittel. Wenn man nicht mehr weiß, was man wie erzählen will, dann macht man Musik auf der Bühne.

Und so werden Danton & Genossen, bei Büchner die eher lustbetonte Fraktion der Revolutionäre, flugs zur Boygroup im Schlagzeug-Bassgitarre-Set-Up arrangiert. Klar, das groovt dann in der Studiobühne der Schaubühne. Allerdings auch nur eben so, wie es groovt, wenn Schülerbands gespannte Saiten und Felle bearbeiten. Wenn die Mädels noch einsteigen, wird die Show etwas variabler. In schönstem Elektropop wird zum Auftakt etwa das Kopfabschlagen des Königs herbeigesäuselt, -gezwitschert und -skandiert; ein netter Hinweis auf die abendländische Kulturgeschichte des Enthauptens.

Die längeren musikalischen Strecken sind aber konventionell verrockt; schon Dantons Musiziergesellen stöhnen mitunter auf, wenn der Chef mal wieder zur Gitarre greift, um einen Zweizeiler unters Volk zu bringen. Dass Robespierre, der tugendhafte Schlächter, mit ­Piano-Geklimper antworten darf, passt zum einmal eingeschlagenen Weg der Inszenierung.

Gut, man sollte es positiv sehen: Die Schauspielklasse hat die Möglichkeit, auch die musikalischen Talente zu zeigen. Den einen oder anderen der Spieler wird man sich ohnehin merken müssen. Jonas Dassler als Danton hat die Gabe, Anführerqualitäten so mit porösen Momenten wie Selbstzweifel und Selbsthass zu verknüpfen, dass man ihn gern im Rahmen einer inspirierteren Regie sehen möchte. Esra Schreier hat als Robespierre eine eisige Präsenz, die auf bemerkenswerte Nuancierungsfähigkeiten schließen lässt. Paul Maximilian Schulze hat das Pech, dass seine Entertainerqualitäten von Regisseur Kleinert anfangs in einen Urania-Erklärmodus gepfercht werden, aus dem er sich erst mühsam befreien muss. Aber auch da steckt Potenzial. Und Monika Freinberger und Lola Fuchs machen aus den undankbaren Begleitfrauenrollen zumindest echte Bitches und widersetzen sich dem geforderten Bühnentod.

Als eine Art Fassung für die werdenden Diamanten dieses Schauspieljahrgangs der Hochschule „Ernst Busch“ taugt die Inszenierung also, selbst wenn sie in sich doch arg lehrbuch-haft ist. Da wird Kapitel für Kapitel abgeklappert. Ein bisschen neben die Rolle treten ist eben so drin wie Zuschaueranimation. Brav zeigt ein Bücherbord von Badiou bis Ziegler, dass eine Klassikerinszenierung heute nicht mehr ohne aktuellpolitische Begleittexte geht. Und in den Zeiten des heutigen Vernetzens ist die Arbeit auch schon reisefertig für den französischen Kooperationspartner Theatre National de Bretagne gemacht. Da dürfte der Publikumszuspruch beim Singen der Marseillaise auch stärker sein als jetzt auf der Studiobühne der Schaubühne.

Tom Mustroph

Nächste Termine: 6., 27. bis 30. 12.