Kulturhäppchen im Penthouse-Getto

Gentrifizierung Im Acud wurde bei „Back to the Future“ diskutiert, wie sich in Mitte die Off-Kultur vielleicht doch noch retten ließe

Mitte ist bekanntlich der Stadtteil Berlins, in dem in den Neunzigern nach dem Mauerfall die wildesten Dinge passierten. Im ehemaligen Ostberlin gab es plötzlich Räume mit ungeklärten Besitzverhältnissen ohne Ende. Kaum jemand hätte sich damals träumen lassen, dass all der Platz, den man mit Zwischennutzungsprojekten bespielen durfte, irgendwann einmal nicht mehr da sein würde. Erst recht nicht die Politik. Grundstücke wurden wie im Rausch an Investoren verkauft, und so lautet eine der drängendsten Fragen heute, die auch laut beim letzten Wahlkampf mitvibrierte: Wie gewinnt man wenigstens ein paar Räume für Kunst und Kultur in Mitte zurück, um den Bezirk davor zu bewahren, ein Getto für Besserverdienende, Touristen und Flagshipstores zu sein.

Diesem Thema wollte auch eine dreitägige Gesprächsrunde im Kunsthaus Acud in Mitte nachgehen, dem neben dem Schokoladen und dem Haus Schwarzenberg letzten Wahrzeichen des off-kulturellen Bezirks Mitte. Die Wahl des Ortes für die Veranstaltung „Back to the Future“ war also passend, auch wenn man an deren Ende nicht unbedingt das Gefühl vermittelt bekam, dass Mitte noch zu retten ist.

In drei Gesprächsrunden wurde die Raumsituation des Bezirks unter die Lupe genommen. In der ersten gab es den historischen Blick zurück, Erinnerungen an all die legendären Clubs und Wochenbars, über die sich Nachgezogene heute in Coffeetable-Books informieren können. Dann wurde die Gegenwart beleuchtet (Penthouse-Wohnungen und Hipsterläden), um im dritten Teil einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Frau Merkels Glaskugel

Die aus London eingeflogene Dozentin für Kultur und Kreativwirtschaft, Janet Merkel, referierte bei ihrem Blick in die Glaskugel erst einmal die Lage in den europäischen Metropolen Paris und London. Deren Innenstädte seien nicht viel mehr als Erlebnisareale für Touristen, die in Opernhäusern und Musical-Stätten ihre Kulturhäppchen konsumierten. Kunst und Kultur würde von der Politik nur noch nach ihrem ökonomischen Mehrwert für die lokale Tourismusindustrie bewertet.

Mitte droht ein ähnliches Schicksal, ganz klar, darauf wies nicht zuletzt Jörg Heitmann hin, der in den Neunzigern in Mitte den Kultladen Friseur mitbetrieb und inzwischen Geschäftsführer des Kulturquartiers Silent Green ist, das freilich im Wedding beheimatet ist. Er gehe jetzt schon kaum mehr aus in Mitte, sagte er – und und mit dem Stadtschloss bald sei das Schicksal von Mitte wohl sowieso besiegelt.

Weil der Blick nach vorn also nur noch mehr Schrecken bot, ging es bei „Back to the Future“ schnell doch lieber nur noch back. Dolly Leupold erzählte ausgiebig davon, wie sie damals in den Neunzigern als Mitarbeiterin im Kulturbüro Mitte eher nach Lust und Laune Räume an Kreative vergab. Jörg Heitmann wünschte sich diese „Anarchie der Verwaltung“ zurück und forderte, dass die Kommunen wieder wie früher Räume zur nicht rein kommerziellen Nutzung zur Verfügung stellen.

Doch wie genau man dies erreichen kann, darüber erfuhr man an diesem Abend letztlich nichts.

In England, wo nach dem Brexit so manche Kommune ihre Kulturförderung inzwischen vollständig heruntergefahren habe, rege sich immer mehr Widerstand gegen die Abwicklung von Kunst und Kultur – dar­auf wies Janet Merkel immerhin noch hin. Und Widerstand ist doch der erste Schritt zur Veränderung. Mal sehen, was man aus dieser Erkenntnis in Zukunft in Berlin-Mitte macht.

Andreas Hartmann