Leben
aus den Druckern

Theater Gertrude Steins Roman „The Making of Americans“ wird im Theaterdiscounter vorgestellt

Es gibt immer einen Satz, der länger hängen bleibt als andere. „Ich lerne gerade viel über das Sein in Männern und Frauen, wenn sie 61 werden“, sagt eine der deutlich jüngeren Schauspielerinnen, mehrmals, und amüsiert sich damit, die Grauhaarigen im Publikum anzulächeln. Es ist aber auch ein außerordentlicher feiner Satz, in diesem Stück nach Gertrude Stein, sich mit Anfang 60 anzufreunden. Unaufdringlich und freundlich.

Im Theaterdiscounter ist eine Produktion vom Theater Winkelwiese aus Zürich zu Gast. Der Regisseur Marcel Schwald steigt mit drei Schauspielerinnen in Gertrude Steins Roman „The Making of Americans“ ein, erstmals 1924 veröffentlicht. Der erzählt die Geschichte von vier amerikanischen Familien und die Vorgeschichte der Großeltern, Auswanderer aus Europa. Dass die noch ein, zwei Generationen Zeit hatten, Amerikaner zu werden und nicht, wie Migranten heute vielfach, Anpassung sofort leisten mussten, wird deutlich als ein Motiv, sich diesem Roman zuzuwenden.

Vor allem der ausführliche Prolog, in dem eine Frau in einem Zelt mit dem dicken Buch hantiert, betont diesen Kontext und wirft auch einen kritischen Blick auf die Schriftstellerin. Das ist ein amüsanter Literaturunterricht. Im zweiten Teil wird viel aus dem Buch zitiert, Drucker unter der Decke lassen Blätter auf die Darstellerinnen regnen, sie bewegen sich durch ein auf Papier überliefertem Leben.

Alfred Hersland ist einer der Romanprotagonisten, auf den sich das Spiel bald konzentriert. Auf seine durchaus strategische Wahl einer Braut aus reichem Haus. Auf die Selbstverständlichkeiten seines in der Welt-Seins. Auf das Amerikaner-geworden-Sein, über das seine Großeltern noch nicht verfügen konnten.

Und je länger das Stück dauert, desto mehr ergreift der Rhythmus der Sprache, die Strategie des Erzählens und Auslassens, die musikalische Struktur des Textes Besitz von den Schauspielerinnen. Vom Erzählen über Literatur braucht es doch etwas lange, bis sie darin eintauchen. Das Privileg zu haben, zu beobachten, zu lesen, zu schreiben, den Menschen zu begreifen; das, erzählen sie anfangs, machte Gertrude Stein aus. Und irgendwann auch ihr eigenes Spiel.

Katrin Bettina Müller

Theaterdiscounter, 4. Dezember, 20 Uhr.