Rio nach den Olympischen Spielen: Erst das Spektakel, dann die Pleite
Wie fällt die Bilanz gut 100 Tage nach dem Ende der Olympischen Sommerspiele von Rio de Janeiro für die Metropole aus? Verheerend.
Treffpunkt ist der großzügige Maua-Platz vor der Silhouette des futuristischen Museums des Morgens. Rechts davon skaten Scharen junger Leute in Richtung historischer Stadtkern an der Praça XV, vorbei am großen Fackelschaft des Olympischen Feuers, das vor gut 100 Tagen erlosch.
Links geht’s an renovierten Speichergebäuden und riesigen Graffitis entlang. Alle zehn Minuten summt die moderne Straßenbahn vorbei und erinnert daran, dass Olympia den Bewohnern von Rio als Projekt der Stadterneuerung und besseren Verkehrsmittel schmackhaft gemacht wurde. Auch in dem kleinen postolympischen Idyll an der Praça Maua ist dies noch verbesserungswürdig: Vor der Straßenbahn fahren hupende Polizisten auf Motorrädern, um das Flaniervolk von den Gleisen zu scheuchen.
Das ganze Hafenviertel sollte mit olympischen Schwung revitalisiert werden. Ein Hochhaus hinter den Speichern scheint fertig, ein zweites sieht schon jetzt wie eine Bauruine aus. Die Baupläne einiger Trump-Towers sind längst eingemottet. Ein erstes Teilstück der zweiten Straßenbahnlinie soll zwar in Dezember eingeweiht werden, doch es ist zu spüren, dass jetzt Stillstand herrscht.
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Rio, also die Stadt und der gleichnamige Bundesstaat, ist pleite. So pleite, dass der Bund letztens jegliche Finanzhilfen aussetzte, bis der Bundesstaat Rechenschaft über seine Ausgaben ablegt. Lehrer und Staatsangestellte bekommen ihre Gehälter erst mit wochenlanger Verspätung ausgezahlt. Es wird gestreikt und protestiert. Die Abstimmung über ein rigides Sparpaket musste mehrfach verschoben werden, da aufgebrachte Menschen das Stadtparlament belagerten.
Korrupte Gouverneure
Die Stimmung ist miserabel. Nicht nur wegen der schweren Wirtschaftskrise, die Brasilien seit fast eineinhalb Jahren fest im Griff hat und die Boomjahre mit erheblichen Einkommenszuwächsen vergessen macht. Auch ein Blick auf die Lokalpolitik lässt nichts Gutes ahnen: Zwei ehemalige Gouverneure von Rio wurden in den vergangenen beiden Novemberwochen wegen Korruptionsvergehen festgenommen – zuerst Anthony Garotinho und kurz darauf Sérgio Cabral, der bis Ende 2014 im Amt war. Letzterer ist mit zahlreichen Mitangeklagten bis heute hinter Gittern. Er soll im Rahmen des Korruptionsskandals um den Ölriesen Petrobras ein weitverzweigtes Netzwerk zum Einheimsen von Bestechungsgeldern unterhalten haben.
Auch der hemdsärmelige Bürgermeister Eduardo Paes, der die Olympischen Spiele als Sprungbrett für eine spätere Präsidentschaftskandidatur nutzen wollte, ist in Ungnade gefallen. Sein Kandidat für die Nachfolge im Rathaus kam im Oktober nicht einmal in die Stichwahl. Es gewann der höchst umstrittene Pastor Marcelo Crivella, dessen evangelikale Überzeugungen so tief sitzen, dass er früher unverhohlen gegen Schwarze, Schwule und auch Katholiken hetzte. Seine Wahl mit deutlicher Mehrheit vor allem unter der armen Bevölkerung passt in den Zeitgeist, bringt Rio aber kaum die notwendig Stabilität: „Schluss mit den Bauarbeiten“ war einer seiner Wahlkampfslogans, der deutlich macht, dass nach Fußball-WM und Olympia kein Geld mehr in die vielen halbfertigen Bauten gesteckt wird.
Der Abschwung und vor allem die handfeste politische Krise seit 2015 halten Brasilien derart in Atem, dass die Spiele samt ihrer extrem teuren Eintrittskarten für die meisten Brasilianer nicht viel mehr als eine nette Ablenkung waren. Sogar Paes sprach damals vom „falschen Moment“ für das weltgrößte Sportspektakel. Schon in der Woche nach Ende der Spiele enthob der Senat Präsidentin Dilma Rousseff endgültig ihres Amtes. Ihr bisheriger Vize Michel Temer, der schon bei der Eröffnungsfeier gnadenlos ausgepfiffen wurde, übernahm ihr Amt und vollzog mit einem rechtskonservativen Kabinett eine politische Kehrtwende. Rousseff und ihre Arbeiterpartei PT sprechen von einem parlamentarischen Putsch, beide Lager fahren einen deutlichen Kollisionskurs.
Gut 30 Kilometer von Zentrum entfernt wirkt der einstige Olympiapark verlassen. Hohe Absperrgitter verriegeln nach wie vor das Gelände auf einer Lagunen-Halbinsel im Stadtteil Barra da Tijuca. Von der Armensiedlung Vila Autódromo, die dem Gelände weichen musste, stehen nur die wenigen Neubauten, die die kämpferischen Bewohner gegen die Stadtverwaltung durchsetzten. Breite Schnellstraßen und endlose Bürgersteige prägen das Areal. Im Gegensatz zu einigen WM-Stadien, die kaum genutzt in der Landschaft stehen, gibt es für den Olympiapark ein Nutzungskonzept. Aber umgerechnet 100 Millionen Euro muss die bankrotte Stadt für Ab- und Umbau noch bezahlen.
Rappelvolle Expressbusse
Die Ausschreibung, wer das Gelände die nächsten 25 Jahre verwerten darf, wurde Ende November zum fünften Mal verschoben. Ähnlich wie beim legendären Maracanã-Stadion, in das der Staat horrende Summen investierte und den Folgegewinn nun privaten Unternehmen überlässt, dürfte auch der Parque Olímpico ein Zuschussgeschäft sein.
Immerhin, die neue U-Bahn-Linie nach Barra funktioniert, und die meisten für Olympia eingerichteten Expressbus-Linien auf eigenen Trassen sind in Betrieb und so beliebt, dass sie meist überfüllt sind. Von Barra geht’s jetzt ohne Umsteigen zum internationalen Flughafen. Dieser aber hat den Ausbau für den kurzen Olympiaansturm nicht gut überstanden: Das zur WM notdürftig, aber mit hohen Kosten renovierte Terminal 1 wird im Dezember stillgelegt.
Das schlimmste für die Menschen in Rio ist allerdings die Rückkehr der Gewalt. Die Bandenkriege in Armenvierteln, an denen Drogengangs, die Polizei und paramilitärische Milizen mitmischen, sind im ganzen Stadtgebiet wieder aufgeflammt. Dabei schien der Versuch, schon Jahre vor der WM mit einer weniger brutalen Polizei und ständiger Präsenz in Favelas die Gewalt einzudämmen, erstmals erfolgversprechend. Doch das Versprechen der Behörden, der Polizeipräsenz auch mehr soziale Infrastruktur wie Schulen und Gesundheitsposten folgen zu lassen, wurde nicht gehalten.
Jetzt ist die Gewalt, die jahrelang in die Außenbezirke verdrängt war, in die schicken Strandviertel zurückgekehrt. In Favelas, die an die Viertel Copacabana oder Ipanema angrenzen, kommt es regelmäßig zu Schießereien und immer wieder zu Todesopfern. Von Januar bis September zählte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 4.482 Tote durch Gewalteinsatz. Mindestens 635 dieser Opfer kamen durch Polizeischüsse um. Unter den Polizisten, die auch um ihren Lohn bangen, gab es 26 Todesopfer bei Schießereien.
Trauriger Höhepunkt bisher war der Absturz eines Polizeihubschraubers während eines Gefechts in der Favela Cidade de Deus (City of God), bei dem vier Uniformierte starben. Einen Tag später wurden sieben junge Männer am Rande des Armenviertels tot aufgefunden. Die Angehörigen sprechen von einer Hinrichtung aus Rache.
Aus der Favela stammt die Judokämpferin Rafaela Silva, im Sommer die umjubelte erste Goldmedaillengewinnerin Brasiliens. Als Kind sei sie vor Gewehrkugeln weggelaufen, jetzt flüchte sie vor Fotografen, die sie und ihre Medaille fotografieren wollen, die Medaille sei die beste Antwort auf Gewalt, sagte Silva selbstbewusst, auch weil sie 2012 in London nach einem Patzer rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt war. Die Illusion des Sports als gesellschaftliches Allheilmittel, die die Presse damals verbreitete, währte in Silvas Heimat nicht lange.
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