Ein Auszubildender arbeitet mit einem Handhobel: Je schmutziger der Job, desto eher bleibe die Stelle unbesetzt, berichten Handwerker Foto: David Ebener/dpa

Handwerk hat immer noch goldenen Boden

Handarbeit Bedrohung von Arbeit durch Digitalisierung gibt es im Handwerk nicht, trotzdem haben die Betriebe seit Jahren Mühe, die Ausbildungsplätze zu besetzen. Jetzt wollen sie Geflüchtete für die Jobs gewinnen

von Hannes Vater

Oft ist es schwer, einen Handwerker zu bekommen, wenn man einen braucht. Das hat verschiedene Ursachen. Die Auftragsbücher der Betriebe seien so gut gefüllt, dass die Handwerker kaum mit der Arbeit hinterherkommen, sagt Bernd Seeger, Geschäftsführer des Berufsbildungswerks der Hamburger Innung Sanitär, Heizung, Klimatechnik (SHK). Vielen Unternehmen mangele es allerdings auch an Nachwuchs.

Deutschlandweit wurden rund 18.000 Ausbildungsplätze in diesem Jahr nicht besetzt – und zwar branchenübergreifend. Gleichwohl sind fehlende Plätze immer noch das gravierendere Problem: rund 80.000 junge Menschen fanden keine Stelle.

Die Hamburger Handwerkskammer zeigt sich denn auch unbesorgt: Es sei schwierig, den Fachkräftebedarf zu decken, allerdings ist es „seit Jahren möglich, die Ausbildungszahlen stabil zu halten“, sagt Ute Kretschmann, Sprecherin der Handwerkskammer.

Diese Diskrepanz zwischen nicht besetzten Stellen und jungen Leuten ohne eine Ausbildungsstelle lässt sich einerseits dadurch erklären, dass manche Handwerkskünste bei jungen Leuten beliebter sind als andere. Während ein Fotostudio zu viele Bewerbungen bekommt und sich höchstens über den Mangel an qualifiziertem Nachwuchs beklagt, haben Bäcker, Maler oder Anlagenmechaniker Probleme, überhaupt Interessenten zu finden, lassen die Hamburger Innungen des Handwerks durchblicken.

„Viele Jugendliche wollen sich nicht die Hände schmutzig machen“, sagt Frank Hüllmann, Geschäftsführer des Anlagenmechanikerbetriebs Loppow & Sohn. Stattdessen habe der Nachwuchs mehr Lust, mit Computern und neuer Technik zu arbeiten. In seinem Hamburger Betrieb hat er dieses Jahr fünf Auszubildende.

Er sagt, da habe er Glück gehabt. Zwar habe die aktive Werbung um Nachwuchs und die Umbenennung des Berufs von „Heizungsbauer“ beziehungsweise „Gas- und Wasserinstallateur“ zu „Anlagenmechaniker“ bereits gefruchtet, dennoch steige die Zahl der Bewerber seit fünf Jahren nur langsam. Die meisten Bewerbungen erreichten ihn erst „kurz vor Toresschluss“.

Unter den Bewerbern fänden sich nur von auswärts Zugezogene oder Geflüchtete. Niemand aus der Gegend. „Das interessiert die gar nicht“, sagt Hüllmann. Junge Geflüchtete sieht Hüllmann als eine große Chance für das deutsche Handwerk.

Einer seiner fünf Auszubildenden ist aus Ägypten nach Deutschland gekommen. Er absolvierte ein Praktikum im Betrieb, lernte innerhalb weniger Monate Deutsch und stellte sein handwerkliches Geschick unter Beweis. Hüllmann sagt, es gebe in Flüchtlingsunterkünften viele begabte junge Menschen, die einen ähnlichen Weg gehen könnten, wenn man sie den ließe. Stattdessen hätten die potenziellen Anwärter aber mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. „Diese Barrieren sollte man sofort abschaffen.“

Bernd Seeger sieht das ähnlich: „Wir müssen uns intensiv um Flüchtlinge kümmern.“ Dass plötzlich so viele junge Menschen in Deutschland seien, die man fürs Handwerk gewinnen könne, sei eine großartige Gelegenheit, so Seeger.

Im April haben der Handwerksverband und die Bundesagentur für Arbeit ein Projekt gestartet mit dem Ziel, 10.000 Flüchtlinge binnen zwei Jahren in eine Ausbildung zu vermitteln. Die Struktur ist dabei die gleiche, wie bei anderen Nachwuchsprojekten: Interessenten finden, sie über Tätigkeiten informieren, schauen, wo individuelle Stärken liegen und sie langsam fit für den Beruf machen. Zudem müssen Neuankömmlinge Deutsch lernen.

„Tausende Betriebe hätten die Flüchtlinge lieber heute als morgen, ihnen geht es nicht schnell genug“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Um das Handwerk hierzulande wieder attraktiver zu machen, sollten sich Betriebe besser präsentieren und mehr gemeinsame Werbung machen, fordert Innungsvertreter Seeger.

Dass aktive Werbemaßnahmen in den vergangenen Jahren bereits gewirkt haben, sieht auch Florian Höft von der Maler-und-Lackierer-Innung Hamburg. So seien die Nachwuchszahlen heute „steigend auf niedrigem Stand“. 2016 wurden stolze 18 Prozent mehr Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr abgeschlossen. Insgesamt 450 in ganz Hamburg.

Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wundert es dagegen nicht, dass Betriebe ihre Ausbildungsstellen nur schwer besetzt bekommen. Denn im Handwerk sei die Ausbildung oft von schlechter Qualität. Jedes Jahr stelle der DGB durch seinen Ausbildungsreport fest, dass jeder dritte Handwerkslehrling „ausbildungsfremde Tätigkeiten“ wie Botengänge oder Putz- und Aufräumarbeiten machen muss, die nichts mit der Ausbildung zu tun haben. Ebenso viele würden mit einer Vergütung von 250 bis 500 Euro sehr schlecht bezahlt – der Durchschnitt liege bei 717 Euro.

Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Auch seien Auszubildende bereits zu Beginn ihres Arbeitslebens hohen psychischen Belastungen ausgesetzt. Mehr als die Hälfte ging regelmäßig krank zur Arbeit. Unter den Top Ten der Ausbildungsberufe sei die Abbruchquote in handwerklichen Berufen die Höchste.

Haggenmiller schlussfolgert, dass die Qualität der Ausbildung besser werden müsse. Dabei sei die Politik gefragt, das Berufsbildungsgesetz zu erneuern. Dieses Gesetz regelt die Rahmenbedingungen dualer Ausbildungen und sei „seit Jahrzehnten nahezu unverändert“. Es müsse „endlich an die Realität angepasst werden“, so der Gewerkschaftler. Neben besserer Qualität sollten Ausbildungen zukünftig besser strukturiert und gestuft sein und eine höhere Durchlässigkeit vorweisen, die unterschiedliche Bildungswege begünstigen.

Auch die Betriebe seien gefragt: Statt teurer Imagekampagnen sollte der Zentralverband des deutschen Handwerks besser für attraktive Rahmenbedingungen sorgen: „Übernahmegarantien, Aufstiegsperspektiven und Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ seien für junge Menschen wichtig, sagt Haggenmiller. Da müsse nachgebessert werden.

Mit Blick auf die 80.000 jungen Menschen, die laut Bundesagentur für Arbeit 2016 ohne Ausbildungsvertrag blieben, sei denn auch nichts dran am „Märchen vom Azubi-Mangel“, sagt Haggenmiller. Damit die jungen Leute sich erfolgreich um eine Ausbildung bewerben können, müssten die Betriebe sich endlich davon verabschieden, nur die „Besten“ haben zu wollen.

So gebe es staatliche Unterstützung bei der Ausbildung junger Menschen mit Förderungsbedarf: Assistierte Ausbildungen oder ausbildungsbegleitende Hilfen seien für Unternehmen und Azubis gleichermaßen gedacht, sagt Haggenmiller. Die Unternehmen sollten sie einfach nutzen – und zwar stärker als bisher.

In einem Punkt sind sich alle einig: Das Handwerk hat Zukunft. Zwar würden Digitalisierung und neue Technologien wie der 3-D-Druck das Handwerk verändern, allerdings nur, was den Bau und die Regelung einzelner Teile betrifft. „Bis ein Roboter das Waschbecken wechselt“, sagt Kammersprecherin Kretschmann, „dauert es noch.“