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Eine Spekulation auf Blech

Herdanziehung Sie gehören zu Weihnachten wie Christstollen oder Zimtsterne. Aber kaum jemand macht sie noch selbst. Hier wird mit Spekulatius Neuland betreten

„Speculum“: Mit Modeln werden Motive wie hier die Windmühle „gespiegelt“ Foto: imago

von Denny Carl

Augenscheinlich haben die kleinen Rechtecke auf dem Backblech nichts mit dem zu tun, was für mich unabdinglich zu Weihnachten gehört. Das liegt daran, dass mein Haushalt weder über Spezialformen noch über industrielle Teigstanzen verfügt. Doch die Nase lässt sich nicht täuschen: Dieses Weihnachten gibt es selbst gebackenen Spekulatius.

Und es ist so einfach: Alles beginnt mit einem halben Kilo Mehl. Fügt man diesem eine ganze Packung weicher Butter und eben so viel Zucker hinzu, sollte man unbedingt vermeiden, das eigene Tun zu hinterfragen. Man nimmt am besten Rohrzucker oder den mit Karamell-oder Kandissirup gefärbten braunen Zucker. Das gibt den Keksen nicht nur ihre typische Farbe, sondern unterstützt mit malzigen und karamelligen Noten den Geschmack. Dazu kommen Eier, Milch und Backpulver.

Wer auf Phosphat in seinen Plätzchen verzichten möchte, sollte sich beim Backpulver für eines mit Weinstein entscheiden. Weinsteinsäure entsteht als Nebenprodukt in der Sektkellerei und kann alles, was Phosphat im herkömmlichen Backpulver kann, nur auf natürliche Weise. Nun kommt das unverwechselbare Aroma in den Teig. Zimt, Kardamom und Nelken sind die ganz klassischen Gewürze in einem Spekulatius. Muskat, Muskatblüte, Piment, Anis oder Ingwer dürfen je nach Vorliebe auch in den Teig. Die Gewürze sollten fein gemahlen und vorab miteinander vermengt werden. Das garantiert gleichmäßige Verteilung und ein feineres Aroma.

Danach wird der Teig kräftig geknetet. Natürlich per Hand. Teigkneter und Teig dürfen sich anschließend mindestens eine Stunde, besser noch über Nacht ausruhen. Der Teig wird 3 Millimeter dick ausgerollt und mit Plätzchenausstechern oder – wie in meinem Fall – mit Lineal und Pizzaschneider in Form gebracht. Mein auf diese Weise gefliestes Backblech verschwindet nun im Ofen.

Dergleichen geschah erstmals in Holland oder Belgien. Die Häfen waren dereinst voll von allerlei Gewürzen aus dem Orient. Irgendjemand muss auf die irre Idee gekommen sein, ein paar davon einem Mürbeteig beizumengen. Das Ergebnis fand rasch auch in Westfalen und im Rheinland Gefallen.Niederländer und Belgier wollen bis heute das ganze Jahr über auf Spekulatius in vielerlei Form von Pralinen über gefüllte Kekse bis zum Brotaufstrich nicht verzichten. In Deutschland würde man sorgenvolle Blicke ernten, büke man Spekulatius im Hochsommer.

Unklar ist, woher das Wort „Spekulatius“ stammt. Etymologen haben mehrere Ansätze. Die These, dass der Keks so heißt, weil die Sprachwissenschaft nur Spekulationen zur Herkunft zu bieten hat, gehört übrigens nicht dazu. Namenspate könnte der heilige Nikolaus gewesen sein. Der Bischof von Myra war ein „speculator“. Im Lateinischen steht das für „Beobachter“. Als solcher hatte Nikolaus immer ein Auge auf Bedürftige. Um ihn zu ehren, zeigen klassische Spekulatius-Motive seine Lebensgeschichte. Es könnte auch sein, dass „speculum“, das lateinische Wort für „Spiegel“, bei der Namensfindung half. Schließlich ist das charakteristische Motiv auf einem Spekulatius ein Spiegelbild der auch Model genannten Form. Jene Modeln bestehen meist aus Holz oder Metall. Teig wird portionsweise eingefüllt und kommt als Geschichtenerzähler wieder zum Vorschein.Weihnachtliche und bäuerliche Motive sind Tradition.

Reine Formsache, unkonventionell gelöst: mit Lineal und Pizzaschneider

Eine gute Viertelstunde ist um. Es duftet so wundervoll, dass ich mir gut vorstellen kann, in diesem Moment auch eine Tradition zu begründen. Ob mir wohl jemand Modeln zu Weihnachten schenken möchte?

Wer bei der Herstellung seines Weihnachtsgebäcks dennoch lieber Fachleuten vertraut, dem sei der Weg in die „Erste Rheinländische Bäckerei Mälzer“ empfohlen. Man findet sie auf Wochenmärkten, in der Steglitzer Ahornstraße, der Friedenauer Rheinstraße und an weiteren Orten Berlins. Dort gibt es den wohl besten Spekulatius Berlins, natürlich mit den klassischen Motiven.

Daran mangelt es meinen Keksen nach wie vor. Wobei: Je länger ich sie beim Abkühlen bewundere, desto klarer sehe ich da ein schneebedecktes Feld abgebildet. Oder ein leer gefuttertes Backblech? Letzteres erscheint mir gerade realistischer.