Alltag im Dazwischen

CRASH Die multinationale Hamburger Gruppe Ruff Monkeys untersucht ihr Verhältnis zur Mode vor dem Hintergrund eines Lebens zwischen den Kulturen. Zu sehen ist die Performance auf dem Festival „Krass“

Die Performerinnen stellen sich selbst auf die Bühne und das Publikum vor den Spiegel

Mit glasigem Blick schreiten die Mädchen nacheinander aus den Umkleidekabinen, die auf der Probebühne aufgebaut sind. Sie tragen Haute Couture aus Zeitungsfetzen. Im Scheinwerferlicht leuchtet die Titelzeile „Tschüss Griechen: Heute können wir euch nicht retten!“ von einem Dekolletee. Im Hintergrund pulsieren elektronisch-orientalische Goa-Sounds. Nur eine der jungen Frauen trägt ein weißes Kleid. Schlanke Figur, blondes Haar: ein wandelndes Unschuldsklischee. Die Musik erstirbt und auf ihrem schneeweißen Rock erscheinen Bilder von Obdachlosen.

Diese ist nicht die einzige unerwartete Szene in dem Stück der Ruff Monkeys, das auf dem Hamburger Festival Krass gezeigt werden wird. Das Festival bietet Künstlern eine Plattform, die sich zwischen den Kulturen befinden: Die Performance-Truppe Ruff Monkeys beispielsweise besteht aus jungen Frauen, die in Hamburg geboren wurden und deren Eltern Migranten sind. Eröffnet wird das Festival kommenden Mittwoch mit dem Stück „Ghetto Blaster“, in dem Jugendliche aus den Hamburger Stadtteilen Wilhelmsburg und Billstedt von ihrem Leben erzählen – zu erwarten sind Einblicke, die dem deutschstämmigen Mittelstand komplett fremd sein dürften.

Bei der Probe der Ruff Monkeys sagt eine der Frauen: „Wir sind anders.“ Sie korrigiert sich: „Ich meine, wir sind verschieden.“ Die Performerinnen mit den migrantischen Wurzeln fühlen sich als Hamburgerinnen, aber nicht unbedingt als Deutsche. In diesem Spannungsfeld bewegen sich ihre Identitäten.

„Fragt doch nicht immer, wo wir herkommen! Fragt, wo wir hinwollen! Was ist eure Geschichte?“, verlangt Mable Preach. Sie leitet die Probe der Mädchen jedes Wochenende im alten Hochbunker an der Hamburger Feldstraße, hilft beim Entwickeln neuer Szenen, bei der Entscheidung für Kostüme und Choreografien.

Was die jungen Frauen – alle zwischen 17 und 22 – in ihrer Tanzperfomance „The Way You Dress...“ erzählen, ist eigentlich keine Geschichte, sondern ihr Alltag. Ihr Alltag vor dem Kleiderschrank und unter dem beständigen medialen Bombardement mit Photoshop-optimierten Idealmaßweibchen. Zwischen türkisen Highheels und bauchfreien Blümchenoberteilen, zwischen schwarzen Kapuzenpullovern und Turnschuhen fragen sie sich und die Zuschauer, was Kleidung über sie aussagt. Die Schauspielerinnen stellen sich selbst auf die Bühne und das Publikum vor den Spiegel.

Sie leben ganz normale, bürgerliche Leben: „Unter der Woche können die Mädchen nicht proben. Da müssen sie studieren, zur Ausbildung gehen oder in die Schule“, erklärt Claude Jansen. Wie die Ruff Monkeys und die Probenräume gehört auch sie zum Verein Hajusom. Unter seinem Dach treffen sich seit 1999 jugendliche Flüchtlinge und Migranten, um gemeinsam Theater zu spielen. Sie wollen nicht ein hundertstes Flüchtlingsdrama aufführen, sondern ihre Identität darstellen. Ohne kuschelpädagogischen Ansatz.

Mit „Hajusom in Bollyland“ brachte der Multikultiverein letztes Jahr eine indisch angehauchte Musik und Tanz-Performance in Kampnagels ehemalige Fabrikhallen. Die Ruff Monkeys führen jedoch anderes vor: Mit eine Mischung aus Charts-Pop, 1990er Jahre Hip Hop und orientalischen Klängen kann sich jeder heimisch fühlen in der Performance.

Nur zweierlei ist am Ende der Probe noch unklar: Wenn Kleidung ein Statement ist, – ein politisches sogar! – was möchte dann das Mädchen in dem blauen Paillettenglitzertop sagen? Und was sagt eigentlich mein Kleiderschrank über mich aus? STELLA WÄCHTER

Krass-Festival: 5. 12. bis 15. 12., Kampnagel, Jarrestr. 20, Hamburg; Aufführungen von „The Way You Dress...“: 12. bis 14. 12., 19 Uhr