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Theater Alles entfernt und verkleinert sich: Stefan Pucher inszeniert „Marat/Sade“ von Peter Weiss am Deutschen Theater

Marat (Daniel Hoevels) und der Chor des Volkes Foto: Arno Declair

von René Hamann

Schön, wenn man ein paar Zeilen geschenkt bekommt. „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“, so heißt das Stück, das unter der Kurzformel „Marat/Sade“ geläufig ist, in voller Bezeichnung. Am Deutschen Theater fand es im Zuge des Peter-Weiss-Jahrs, der Autor wäre vor Kurzem 100 Jahre alt geworden, seine abermalige Aufführung.

Kurz zur Erklärung: Marat war ein Revolutionsführer während und nach der Französischen Revolution von 1789; der Marquis de Sade ein grenzwertiger Skandalautor adeligen Geschlechts, der mit seiner Klasse ebenfalls brach. Beim Sturm auf die Bastille war er dabei, später hielt er die Grabrede auf den großen Marat; was ihn darüber hinaus an den Revolutionär band, ist unklar. Klar ist, dass er seine letzten Jahre im „Hospiz“ Charenton, also in der Nervenheilanstalt verbrachte, wo er kleine Theateraufführungen gestalten durfte. Peter Weiss hat beide Figuren zu einem Stück vereint.

Guckkastenoptik

Am Deutschen Theater bleibt das Stück ganz bei sich: Die Inszenierung unter der Regie von Stefan Pucher ist behutsam aktuell; es gibt Video (im Grunde überflüssig), Musikeinlagen (an der Orgel: Ex-Blumfeld-Keyboarder Michael Mühlhaus), es gibt die Idee mit den Puppenkörpern, die die Schauspielenden verkleinern, nur Kopf und Hände bleiben in Originalgröße. Das erzeugt eine nette Guckkastenoptik. Die Metaebenen bringt der Text schon im Original mit – Theater im Theater. Dann die eine dritte, kommentierende Ebene durch den Chor hinzu, der auf aktuell laufende politische Debatte rund um Arbeiterklasse, Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftswunder rekurriert. Diese Ebene wurde genauso behutsam modernisiert wie alles andere – die „Kanzlerin“ wird mal benannt und zeitgenössische Diskurse rund um Religionskritik und den Rechtspopulismus, na, angetippt. Auf einen echten Kommentar zur aktuellen Lage wartet man aber vergeblich.

Ist das ein Problem? Vielleicht nicht. Es zeigt jedenfalls, dass sich die Diskurse seit 1964, dem Jahr der Uraufführung dieser Reflexion des sozialistischen Autors Weiss, mächtig verschoben haben. Das ist auch irgendwie sehr traurig. Was ist aus der Linken geworden? Was hat sie bloß so ruiniert? Warum kommen genuin linke Forderungen wie die nach ordentlicher Bezahlung und sozialer Gerechtigkeit, warum linke Kritik wie die an der Religion mittlerweile hauptsächlich von rechts? Irgendwie rutscht man unruhig auf seinem Sitz herum, wenn von der Bühne das Wort „Revolution“ kommt und man dabei eher an die AfD und das Wort „nationalkonservativ“ denken muss.

Die Linke hat sich arrangiert und verzettelt sich in Nebenschauplätzen wie Minderheitsrechten, scheint es. Ist ja auch ein Topos, der gerade diskutiert wird. Andererseits fällt das völlige Fehlen von irgendetwas, das man unter „PC“ verstehen könnte bei der Aufführung dieser Revolutionserzählung, auf. Migrationshintergründe, Diversität auch in der Abbildung – dafür ist das Gorki zuständig. Am DT bleibt es gutbürgerlich.

Das ist auch irgendwie sehr traurig.Was ist aus der ­Linken geworden?

Bizarr aus der Zeit gefallen

Mit anderen Worten: Es gibt noch einen Verfremdungseffekt, den das Stück von Peter Weiss an diesem Ort, in diesem Kontext, zu diesem Zeitpunkt eher unfreiwillig produziert: Es wirkt bizarr aus der Zeit gefallen. Und das sind nicht allein die Reime oder die manchmal arg verschraubte Sprache, die damals dem Bildungsbürger gut ins Ohr wollte, heute aber nur irgendwie sperrig wirkt. Der Grundkonflikt, für den die Figuren Marat (überspitzt: wie gewaltsam muss die Revolution sein, über wie viel Leichen muss gegangen werden – die RAF hat sich dann später an dieser Frage zur Genüge ausprobiert) und de Sade (der Individualismus, der ins Brutale gesteigerte Hedonismus und Kunst als Antwort auf Fragen der Politik) stehen, ist heutzutage nicht weiter interessant. Für die psychologischen Hintergründe des Mords an Marat interessiert sich das Stück wenig – und auch nicht für die Frage nach dem Diktatorenmord a priori.

Was bleibt, ist sehr gutes Schauspielertheater, wie man es vom DT fast schon gewohnt ist, unter einer mehr als soliden Regie. Hervorzuheben wären der diesmal sehr präsente Felix Goeser als de Sade, die vielseitige Anita Vulesica als Theaterdirektor (!) und der ausdrucksstarke Chor, der vornehmlich aus Schauspielstudierenden besteht. Auch Marat, von Daniel Hoevels mit einer schön leicht irren, moribund entrückten Mimik versehen, verdient lobende Erwähnung.

Wieder am 3., 10. + 21. Dezember