Wochenschnack
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Geringe Lust auf Veränderung

Grüner Parteitag In der Kolumne „Die Eine Frage“ will taz-Autor Peter Unfried klären, wie viel landesgrünen Spirit die Bundesgrünen im Jahr 2017 brauchen

Sonnenblumensymbol auf dem Bundesparteitag der Grünen in Münster Foto: dpa

Fangfragen

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

Ich töte noch ein Huhn – und esse es sogar, denn ich bin kein Vegetarier. Nur, mit solchen „Fangfragen” hat man früher mal Kriegsdienstverweigerer traktiert.

Und um solche Fangfragen geht es eben nicht in der Politik. Politik beziehungsweise politisch denken ist nicht mitregieren oder mitregieren wollen. Das haben die Grünen schon mal mit zweifelhaftem Erfolg gemacht. Leider verstehen heute aber viele unter Politik das, was ihnen Frau Merkel und vorher Herr Kohl vorgemacht haben und noch vormachen: Warten, bis eine Situation eintritt und dann das kleinere Übel als alternativlos präsentieren. So kann man ohne Schuld bleiben und dennoch für Kriege, für Bankenrettung, für Prekarisierung der griechischen Bevölkerung und auch für S 21 sein, um nur einiges zu nennen.

Politik machen heißt aber, Ziele zu haben und zu versuchen, diese zu verfolgen, zu handeln, bevor die Situation der Fangfrage eintritt oder, wenn nicht an der Regierung, zumindest Vorschläge und Wege zu entwickeln, wie diese Ziele erreicht werden können. Und das heißt eben auch nicht, nur das Machbare zu denken. Denn dann bewegt sich nichts. Das als emanzipationsparodistische Büttenreden und pädagogische Moralpoesie abzukanzeln, zeugt von geringer Lust an der Veränderung unserer Politik, vulgo Konservativismus.

MANUEL HAUS, Tübingen

Kretschmännisch

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

Peter Unfried überrascht. Meint er wirklich denselben Parteitag der Grünen in Münster mit seinem Kommentar wie die Vertreter der anderen Presseorgane? Mit nachhaltigem Schaum vor dem Mund schimpft er vor sich hin über „emanzipationsparodistische Büttenreden“, „pädagogische Moralpoesie“ und „das lächerliche Wording ‚Superreiche‘“. Habe ich da was nicht mitgekriegt?

Mitnichten. Dem roten Faden seiner Philippika mit Mühe folgend, kapiere ich schließlich: Es geht um Ethik. Nicht um die pubertäre gutmenschliche Gesinnungsethik, nein, um die kretschmannianische Verantwortungsethik!

Die besteht ja nun darin, so schrieb es jedenfalls Ulrich Schulte am 4. März in dieser Zeitung, in verblüffender Schnelligkeit Zugeständnisse zu machen. „Wenn es anfängt wehzutun, wenn es um Geld, die Wirtschaft oder die Verteilung von Reichtum geht, dann sollte man besser nicht auf Kretschmann setzen“, fand der taz-Spezialist für Bundespolitik. Aber, ich weiß ja nun, dass genau dies das Problem ist! Während sich die (mitregierenden) Landtagsgrünen „den Arsch aufreißen“ „für das kleinere Übel“, streben die Bundesgrünen ins „egozentrische Gesinnungsnirvana“. Schön formuliert! Gesinnungsnirvana! Das hätt’glatt dem Franz Josef Strauß (un)seligen Angedenkens einfallen können, oder dem Seehofer, dem nach eigener Aussage unser Kretsch ja näher steht als so einem bluttriefenden, bestimmt auch gesinnungsethischen Salonstalinisten wie dem Ramelow. Viel Spaß beim Hühnerschlachten, Peter Unfried. Guten Appetit, und wohl bekomms!

ROLF TYBL, Grafrath

Gegensatzpaar

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

Irgendwie hat Unfried wohl seinerzeit nicht mitbekommen (oder vielleicht einfach nur vergessen?), dass Helmut Schmidt mit dem Gegensatzpaar Verantwortungs- versus Gesinnungsethik zu Zeiten der Friedensbewegung einen Anstoß mit zur Gründung der Grünen geliefert hat. Was soll man noch dazu sagen, wenn der Autor das nun noch zum „egozentrierten Gesinnungsnirvana“ hochjazzt.

Sollte dieses Denken wirklich – wie von Peter Unfried scheinbar gewünscht – grüner Mainstream werden, braucht wirklich niemand mehr diese Partei.

Genauso würde sich diese Partei unglaubwürdig machen, wenn sie der Versuchung folgte, sich mit „Moral“ nur noch in der Verbform „moralisieren“ zu beschäftigen oder diese, wie bei Peter Unfried zu lesen, als „Moralpoesie“ lächerlich zu machen.

HEINZ-HERMANN INGWERSEN, Neumünster

Welch ein Unsinn

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

In Unfrieds Beispiel wird ein Vegetarier vor die Wahl gestellt, das Brathuhn zu essen oder ein anderes wird noch geschlachtet. In seiner „Übersetzung“ liest sich das so: In Verantwortung für das noch lebende Huhn muss der Vegetarier das Brathuhn essen. Welch ein Unsinn.

Warum macht er das? Er möchte, dass die Grünen endlich Ruhe geben und Kompromisse anstreben. Er vergisst, dass am Anfang allen Handelns nicht der Kompromiss stehen darf. Und er vergisst, dass seine schöne Trennung von Landes- und Bundespolitik nicht immer im Reichstag ankommt. „Das hohe Haus“ von Roger Willemsen beschreibt dies eindrücklich. Was ist zu tun?

Ich hoffe immer noch, dass die Grünen sich vom „Mainstream“ nicht vereinnahmen lassen (dann könnte man sie tatsächlich abschaffen). Und ich hoffe, dass die Grünen auch Widersprüche zulassen können, auch wenn sie innerhalb ihrer Partei stattfinden.

WOLFGANG RAUCH, Kronau

Beschämend blöd

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

Die Geschichte „Ich töte noch ein Huhn“ halte ich für beschämend blöd. Das ewige Gestreite über Realos und Fundis sollte man, lieber Peter Unfried, endlich hinter sich lassen. Realpolitik und der Kampf für das kleinere Übel sind ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, das wissen wir. Aber grundsätzliche Positionen (Fundament) können nicht beliebig gewechselt und der Realpolitik geopfert werden, das wissen Sie auch, oder?

REINER RAUCH, Mauer

Der Bösewicht

betr.: „Ich töte noch ein Huhn“,taz vom 19. 11. 16

Ein jeder wird Peter Unfried aus Baden-Württemberg zugestehen, Kretschmanns Kurs zu unterstützen und als Grüner gut, sogar optimal für dieses Bundesland zu finden. Doch soll der schwäbische Konservatismus Leitlinie für die Bundesrepublik werden? Das entsprechende gilt für Tarek Al-Wazir mit dem dritten Terminal in Frankfurt.

Da die Grünen im Bund frei sind, ist angesagt, grüne Vorstellungen zu Papier zu bringen und keine Koalitionskompromisse. Natürlich bedenkt Unfried die Chancen. Da wiegt das Unheil von rechts die Gefahr von links nicht auf. Soll deshalb „flexibler“ formuliert, gar gedacht werden?

Der Kompromiss, zum Beispiel Gas statt Kohle zu verbrennen, mildert den Klimawandel, stoppt ihn aber nicht. Und doch werden Windräder als Verspargelung diffamiert und in der Nachbarschaft vielfach abgelehnt und Weinberge schlicht zu natürlichem Kulturerbe deklariert.

Da wird in Richard David Prechts Fabel der Brathähnchenverweigerer zum Bösewicht und nicht der Erpresser. Mit dem zweiten Hühnchen, das am Leben bleiben soll, wird methanlastige Fleischkost zementiert!

Trotz alledem, die Diskussion kündet von der großen Transformation, die im Gange ist.

KLAUS WARZECHA, Wiesbaden