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Goldene Mandeln für die Ahnin

Dom-Geschichten Familie Veldkamp gehört zu den alteingesessenen Familien auf dem Hamburger Dom. Angefangen hat alles mit Muttern

Ist in der sechsten Generation auf dem Hamburger Dom und anderen Jahrmärkten unterwegs: Tom Veldkamp Foto: Miguel Ferraz

von Frank Keil

Auf einem leicht erhöhten, exponierten Platz hinter der Kasse ihres Cafés soll sie Tag für Tag gesessen haben, das Geschehen stets im Blick: Anna Wilhelmine Catharina Veldkamp. Ihr Kopf umrahmt von einer Haube aus Brüsseler Spitze, mit Goldfäden durchwirkt. Gründerin eines Schausteller-Unternehmens, das bis heute auf dem Hamburger Dom tätig ist, eine der ganz alten Domfamilien.

Tom Veldkamp, Großneffe von Anna Wilhelmine Catharina Veldkamp, schwächt das bescheiden ab: Es gebe einige Schaustellerfamilien, die auf eine lange Geschichte zurückblicken könnten, sie seien da nicht die einzigen.

Wobei eines schon wahr sei: Seit 1893 ist die Anwesenheit der Veldkamps auf dem Hamburger Heiligengeistfeld verbrieft. Und damit ist er selbst heute mit seinem Spiel- und Losgeschäft in der sechsten Generation auf dem Hamburger Dom, aber auch auf vielen anderen Jahrmärkten unterwegs.

So wie auch sein Großcousin Simon gegenüber einen Stand mit gebrannten Mandeln und anderen Süßigkeiten betreibt, seine Eltern immer mal wieder aushelfen – plus jeder Menge anderer Veldkamps, ferner oder enger verwandt oder angeheiratet. Und auch sein Sohn könne sich derzeit einen solchen Lebens- und Berufsweg vorstellen; einen eigenen Wohnwagen hat er jedenfalls schon.

Dabei war „Mutter Veldkamp“ als Stammmutter des Unternehmens bei den Veldkamps lange gar nicht präsent. „In unserer Familie wurde über die Zeit vor und nach dem Krieg nicht groß gesprochen“, sagt Tom Veldkamp.

Was sich ändert, als im Jahr 2000 die Historikerin und heutige Leiterin der Hamburger Landeszentrale für Politische Bildung, Rita Bake, ihr Projekt „Der Garten der Frauen“ startet. Die Idee: auf dem Ohlsdorfer Friedhof einen Gedenkort aus Grabsteinen zu errichten, der an Hamburger Frauen erinnern soll, die in Vergessenheit gerieten.

Während einer ihrer Recherchen weisen Friedhofsgärtner sie auf einen Grabstein hin, der neben Geburts- und Sterbedatum sowie einem Relief einer Frau mit Haube die Inschrift „Mutter Veldkamp“ trägt.

Mutter Veldkamp? Niemand weiß etwas Genaues! Und Rita Bake steht bei der nächsten Domsaison vor dem Geschäft der Veldkamps, fragt nach biografischen Details, nach Fotos. Und landet schließlich bei Tom Veldkamp, der heute so etwas wie der Familienhistoriker des Unternehmens ist: „Mir hat es Spaß gemacht, in unsere Familiengeschichte einzutauchen.“

Also fuchst er sich in genealogische Standards; klappert das Internet ab, denn klar ist, dass die Wege der Familie Veldkamp nach Holland führen, weshalb viele der Männer Jan oder Simon heißen: „In Holland ist die Genealogie gut dargestellt, in Deutschland aber ist es schwierig.“ Da seien die besten Quellen die Kirchenbücher, doch die Pastoren hätten wenig Lust, da herumzukramen.

Doch er bleibt hartnäckig, und so muss er heute nur zwei-, dreimal auf sein Tablet tippen, und ein Stammbaum entblättert sich, dessen oberste Sprossen zurückgehen bis in die Anfänge um 1600. Doch so genau er mittlerweile weiß, dass die Großmutter von Mutter Veldkamp 1821 eine erste Bäckerei im niederländischen Groningen eröffnete, dass sie diese später ihrer Tochter – der Mutter von Mutter Veldkamp – übertrug, die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Hamburg zog: So vorsichtig ist er bei der Deutung, wie die Menschen persönlich gewesen sein mögen. Erst recht, wenn es um Mutter Veldkamp geht: „Wir haben sie ja nicht selbst kennengelernt. Also können wir nur das weitergeben, was andere erzählt haben. Aber ob das alles stimmt, ist die große Frage.“

Fakt ist, dass ihm eines Nachts die Idee mit den Goldmandeln kam: Mandeln, gebrannt mit essbarem Blattgold, eine Spezialität, die er auch über einen Online-Handel vertreibt; zugleich Hommage an Mutter Veldkamp mit ihrer golddurchwirkten Haube. Richtig ist auch, dass Mutter Veldkamp, am 5. 7. 1865 in Hamburg geboren, als junge Frau eine Konditorei ihrer Mutter am Hamburger Gänsemarkt übernimmt und einen ihrer Konditoren heiratet.

Der Höhepunkt ihres Schaffens ist ein Café auf dem Heiligengeistfeld mit 1.200 Sitzplätzen und mehreren Dutzend Angestellten. Und an einem Tag während des Winterdoms schließt sie ihr Café und lädt Hamburgs Waisenkinder ein. Was ihr den Ruf der Wohltäterin einträgt.

Dabei täuschte – das weiß man von Postkarten, die das Café seinerzeit drucken ließ – eine Holzfassade ein geschlossenes Portal vor, hinter dem sich ein Zelt befand. Ein mobiles Café also, das allerdings wegen seines Volumens nicht reisen konnte. Es blieb in Hamburg, wurde und zu Beginn jeder Domsaison auf- und später wieder abgebaut und eingelagert. Bei den Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs im Juli 1943 wird dann genau dieses Lager getroffen. Ebenso wird die Wohnung des Ehepaars Veldkamp zerstört; sie ziehen zu ihrem Sohn Jan.

Seit Längerem herzkrank, stirbt Mutter Veldkamp in der Nacht des 13. 12. 1944, mit 75 Jahren. Eine Schar von Waisenkindern soll den Trauerzug vom Dom bis zum Grab in Ohlsdorf begleitet haben. Wenige Stunden nach ihrem Tod wird ihre Schwiegertochter Emmi Veldkamp im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis hingerichtet.

Um wiederum Emmi Veldkamps Geschichte zu erzählen, muss man gleichfalls in die Vergangenheit gehen: Sie wird 1907 auf dem Land in Schleswig-Holstein als uneheliches Kind geboren, lebt bei verschiedenen Pflegeeltern.

Als sie mit 21 Jahren volljährig wird, geht sie nach Hamburg, nach St. Pauli. Arbeitet dort als Bedienung in der Varietébühne „Alkazar“ oder dem Club „Trocadero“, und ihr Lebensstil dürfte kleinbürgerlichen Vorstellungen von Sitte und Anstand nicht entsprochen haben.

Der Höhepunkt ihres Schaffens ist ein Café auf dem Heiligengeistfeld mit 1.200 Sitzplätzen und mehreren Dutzend Angestellten. Und an einem Tag während des Winterdoms schließt sie ihr Café und lädt Hamburgs Waisenkinder ein. Was ihr den Ruf der Wohltäterin einträgt

Dort trifft sie Anfang der 1930er-Jahre den Schausteller Jan Heitmann, einen der drei Söhne von Mutter Veldkamp. Er heiratet sie, nimmt sie mit in sein Familienunternehmen. Doch als er 1940 zur Wehrmacht einberufen und an die Front geschickt wird, lernt Emmi Veldkamp einen Beamten der Hamburger Verwaltung kennen, der für die Zuteilung von Lebensmittelmarken und Bezugsscheinen zuständig ist.

Was immer sie mit dem gut 30 Jahre älteren Carl Georg Lindner verbindet: Tatsache ist, dass der Beamte ihr immer mehr Lebensmittelmarken und Bezugsscheine gibt und dafür seine Unterlagen fälscht. Doch Emmi Veldkamp gibt die Marken und Bezugsscheine nicht einfach weiter, sondern setzt sie in Geld um und muss irgendwann einen nahezu gewerbsmäßigen Handel betrieben haben. „Es heißt, sie hätte in Hamburg den Untergrund mit Lebensmitteln versorgt“, berichtet Tom Veldkamp.

Der Handel fliegt schließlich auf, sie kommt vor das Sondergericht. „Für derartige Parasiten wie die Angeklagte Veldkamp ist in der Volksgemeinschaft in Kriegszeiten kein Raum, so dass auch bei ihr (…) ein besonders schwerer Fall anzunehmen und sie zum Tode zu verurteilen ist“, heißt es in der Anklageschrift.

Und ein medizinisches Gutachten meint festzustellen: „Es handelt sich demnach bei der Frau V. um eine triebhafte, hemmungslose, egoistische Psychopathin, ohne Intelligenzausfälle.“ Sie wird – wie Carl Georg Lindner – im Februar 1944 zum Tode verurteilt und am 14. 12. 44 durch das Fallbeil hingerichtet. Der Familie gelingt es, dass ihr Leichnam freigegeben wird, so wird sie gleichfalls in Ohlsdorf beerdigt.

Ihr Mann wird 1955 einen Antrag auf Wiedergutmachung stellen. Er bittet um ein Aufbaudarlehen in Höhe von 20.000 D-Mark. Der Antrag hat kaum Aussicht auf Erfolg, war Jan Veldkamp doch registriertes Mitglied der NSDAP. Bemerkenswert ist jedoch das Verhalten des Hamburger Amtes für Entschädigung, das bei der Hinrichtung Emmi Veldkamps von einer rechtmäßigen Verurteilung ausgeht.

So lautet der letzte Satz des amtlichen Ablehnungsbescheids: „Kriegswirtschaftsverbrechen wurden und werden in jedem kriegsführenden Land hart bestraft, da nur so in Kriegszeiten das wirtschaftliche Gesamtgefüge aufrechterhalten werden kann.“

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