: Von Brühen und Wurzeln
GENUSS Regional, saisonal, reduziert: Neue Trends im Kochen und die passenden Bücher
von Jörn Kabisch
Grünkohl und Superfood, Zwanzig-Minuten-Rezepte oder Kochen mit Chia: Jedes Jahr bringt im Kochbuch-Sektor neue Trends. Auffällig ist: Das Grundkochbuch, seit Jahrzehnten die sich am besten verkaufende Publikation, wird selten. Basisrezepte, egal ob für Hefeteig oder den weihnachtlichen Schmorbraten, sind im Netz schnell gefunden und bei der Hand. Warum soll man sich dann noch einen dicken Wälzer ins Regal stellen? Trotzdem: Es sind einfache Gerichte, die die Kochbücher in vergangenem Jahr beherrscht haben – vor allem eines, das sich für die meisten Esser an Primitivität vermeintlich kaum unterbieten lässt.
1. Brühe
Es ist eine Kampfansage an den Brühwürfel, das älteste Instantgericht seit der Erfindung der Lebensmittelchemie. Mitte des 19. Jahrhunderts brachte Justus Liebig seinen Fleischextrakt auf den Markt, den Vorläufer der Würzmischungen von Maggi und Knorr und all der Tütensuppen. Seither hat die einfache Bouillon wahrscheinlich nicht mehr so viel Aufmerksamkeit erfahren wie im vergangenen Jahr. Die Brühe ist der neue Smoothie. Und das mit Recht. Nicht nur, weil etwa Hühnersuppe in Erkältungszeiten die spürbar beste Medizin ist. Eine mit Aufmerksamkeit gekochte Brühe ist auch eine Geschmacksbombe, mit der man fast jedes Gericht pimpen und mit seinem ganz eigenen Stempel versehen kann.
Maßgeblich hat den neuen Trend Marco Canora in New York geprägt. Er eröffnete im November 2014 das Brodo, eigentlich nur ein Fenster, aus dem er statt Kaffee „Knochenbrühe to go“ verkauft – mit großem Erfolg. Warum seine Suppen so gut schmecken? Was lange simmert, beste Zutaten und große Mengen enthält, hat am Ende einen komplexeren Geschmack. Rezepte für Fleisch-, Geflügel-, Fisch- und Gemüsebrühen sind in seinem Buch versammelt, das nun auf Deutsch erschienen ist, und auch weiterführende Suppengerichte und Risotti. Und keine Angst: Die Suppen lassen sich auch mit einem etwas kleineren Topf kochen als Canoras 16-Liter-Gefäß.
Marco Canora: „Brodo“, Südwest Verlag, München 2016, 160 S. 14,99 Euro
2. Fermentation
Fast ebenso wenig der Rede wert wie die Brühe war bei Hobbyköchen in den vorigen Jahren fermentiertes Gemüse. Warum Sauerkraut stampfen oder Gurken selbst einlegen, wenn es einem im Supermarkt nachgeworfen wird?
Vor allem der Siegeszug des Kimchi, des scharf eingelegten Chinakohls aus Korea, hat die Perspektive verschoben. Und wer schon einmal saure Bohnen probiert hat, ist ohnehin überzeugt. Die Zubereitung ist nicht schwierig. Man braucht Salz und Zeit, den Rest übernehmen die Milchsäurebakterien. Fermentation ist was für Oberfaule.
Cathrin Brandes, seit Jahren eine Botschafterin des sauer eingelegten Gemüses, hat nun ein Kochbuch vorgelegt, das gleich zwei Vorteile hat. Es ist wegen der vielen Fotos auch für Anfänger geeignet und gibt gleichzeitig einen umfassenden Einblick in die spannende Welt der Fermentation von Sauerkraut über Kombucha bis zu Kefir und Sauerteig. Irgendwie doch ein Grundkochbuch.
Cathrin Brandes: „Fermentieren ganz einfach selbst gemacht“. Neuer Umschau Verlag, Neustadt a. d. Weinstraße 2016, 256 S., 29,95 Euro
3. Fleisch
Der Burger ist ein Trend, der langsam in die Jahre kommt. Unzählige Bücher zum Thema sind bereits erschienen, die einen mit dem Schwerpunkt auf den Fleisch-Patties, die anderen auf den Buns – das sind die Brötchen, die nächsten begeisterten sich vor allem für Dips und Saucen. Vier Autoren haben sich vorgenommen, ein Buch zu schreiben, das alle anderen ersetzen soll.
Es ist ein Buch, das eine Bedienungsanleitung braucht, und die wird auch mitgeliefert. Nach der Lektüre ist Schluss mit dem gepflegtem Halbwissen zum Thema. Einen großen Teil nimmt das Hackfleisch ein, Zusammensetzung und Zubereitungsarten, fast 70 Rezepte zum Thema schließen das Kompendium ab, das schon vom Namen her Bibel sein will. Sage noch einer, der Burger sei die simple Fortsetzung des Frikadellenbrötchens.
Hubertus Tzschirner u. a.: „Unser Burger“, Callwey, München 2016, 288 S. 39,95 Euro
4. Jahreszeiten
Regional und saisonal essen – das gilt als das Rezept, um sich von der Nahrungsmittelindustrie zu emanzipieren. 75 Prozent der Menschen in Deutschland sagen auch, sie würden regionale Produkte vorziehen. Aber wie geht dann saisonal, wenn auch aus heimischer Gewächshausproduktion Gurken und Tomaten immer verfügbar sind. Und was ist im Winter? Da gibt es doch gar nichts frisch, oder? Diesen Fragen widmet sich eine neue Kochbuchserie aus dem Brandstätter Verlag. Katharina Seiser, die sich in den vergangenen Jahren schon als Herausgeberin einer Buchreihe über vegetarische Länderküchen verdient machte, hat sich mit Richard Rauch zusammengetan, einem der populärsten Jungköche Österreichs. Das Konzept: Kochen lernen im Rhythmus der Jahreszeiten.
Der erste Band ist in neun thematische Kapitel eingeteilt, basierend auf der österreichischen Küche. Da geht es um Kohl und Wurzelgemüse, die Wiener Rindfleischküche, genauso aber um Zitrusfrüchte, den Hering als Zutat, selbstverständlich um Mehlspeisen und Gebäck. Sympathisch ist: Vegetarische Gerichte kommen nicht zu kurz, ganz im Gegenteil. Viele Tricks und warenkundliche Informationen geben auch erfahrenen KöchInnen neue Anregungen. Das Gulaschrezept allein spricht für die Güte des Buchs. Seiser und Rauch verwenden Zwiebeln und Rindfleisch zu gleichen Gewichtsanteilen. Schon beim Lesen des kurzen Rezepts ist man im Schmorhimmel. Kochen kann so einfach sein.
Katharina Seiser, Richard Rauch:„Die Jahreszeiten-Kochschule: Winter“. Brandstätter Verlag, Wien 2016, 248 S., 34,90 Euro
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