Was für ein Rummel

Denkmalpfleger sehen das Essener Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Gefahr – wegen „überbordender Eventkultur“ und verfallender Siedlungen

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Einen Anlass gibt es immer. In diesem Fall heißt der Anlass Michael Petzet und ist Weltpräsident des Internationalen Rats für Denkmalpflege (Icomos). Im Januar reiste Petzet zur Essener Zeche Zollverein, um sich ein Bild von der im Umbau befindlichen Kohlenwäsche zu machen, in der nächstes Frühjahr das Ruhrmuseum eröffnen soll. Denkmalschützern war ganz übel wegen der Umbauerei, sie bangten um die urtümliche Substanz des Gebäudes und wünschten sich im Grunde, niemand würde einen Finger an die Kohlenwäsche legen. Petztet kam, sah sich die Sache an – und es wurde wieder ruhig auf Zollverein.

Bis gestern. Das Rheinische Amt für Denkmalpflege hatte anlässlich des neun Monate zurück liegenden Petzet-Besuchs zur Pressekonferenz geladen, um „mehr Respekt im Umgang mit dem Weltkulturerbe“ einzufordern. Von wem? Quasi von allen, insbesondere aber von jenen, die in den Siedlungen um Zollverein wohnen und in den Hallen des Weltkulturerbes wirken. „Zur Industriekultur gehören auch die Siedlungen“, mahnte Landeskonservator Udo Mainzer und zeigte Fotos von Häusern angrenzender Viertel, an die die Hausbesitzer „Baumarkt-Artikel dran klatschen“, was Mainzer gar nicht passt. Das Problem bei der Sache ist nur: Die Siedlungen stehen bislang nicht unter Denkmalschutz. Auch das fuchst den Landeskonservator. Vor Jahren schon habe das Amt für Denkmalpflege einen Antrag an die Stadt Essen gestellt, etliche Siedlungen zu schützen. Getan habe sich bislang aber nichts, sagt Mainzer. Und so werden weiter ungeschützte Denkmäler in der Pufferzone verschandelt.

Weil sie das alles nicht ertragen, haben die Denkmalschützer ein Papier mit acht Thesen zum Umgang mit dem Weltkulturerbe vorgelegt, in dem unter anderem die „überbordende Eventkultur mit Rummelplatzcharakter“ verdammt und oberste Priorität für die Wahrung der Denkmal- und Welterbeeigenschaft gefordert wird. Alle anderen Interessen müssten sich unterordnen. Etwas weiter gefasst könnte man sagen: Alles, was über das nackte Denkmal hinaus führt, jede Inszenierung oder Veranstaltung, ist den Denkmalschützern ein Dorn im ohnehin weinenden Auge. Natürlich geben sie das nur eingeschränkt zu: Veranstaltungen auf Zollverein okay, aber bitte nur in Maßen. Denn: „Wenn der Individualismus um sich greift, nimmt das Denkmal Schaden“, sagt Mainzer. Nun, gut vier Jahre nach der Ernennung der Zeche Zollverein zum Unesco-Weltkulturerbe, sei man an einem Wendepunkt und müsse den Umgang mit dem Denkmal überdenken.

Der Zeitpunkt ist interessant: Wenige Meter entfernt brüllen Maschinen, mit denen die Kohlenwäsche saniert wird. Im Frühjahr 2006, wenn es dabei bleibt, wird das Ruhrmuseum eröffnet, und fortan sollen Tausende Menschen über das weitläufige Areal spazieren. Ob diese Menschen auch kommen würden, wenn sie bloß Ruinen vorfänden, ist mehr als fraglich. Dennoch: Mainzer sieht den Welterbe-Status der Zeche Zollverein in Gefahr. Die Diskussion um das Weltkulturerbe Kölner Dom, dessen visuelle Integrität durch Hochhäuser bedroht sein soll, habe gezeigt, dass es der Unesco durchaus ernst sei.