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Ohne Sog oder verführerisches Chaos

Uraufführung Sebastian Kreyer hat Hubert Fichtes Roman „Versuch über die Pubertät“ am Hamburger Schauspielhaus inszeniert. Aus Schlager-Einspielungen und Gesten allein entsteht allerdings noch keine Atmosphäre oder gar gutes Theater

von Katrin Ullmann

Es gibt Haferflockentorte. „Selbst gemacht!“, trillert die Mutter. Schließlich kommt ein gewisser Alex Kraetschmar zu Besuch, „der Mann von 40 Jahren“. Gepflegt ist er, erfolgreich und homosexuell. Doch „ein homosexueller Schauspieler und Regisseur, wenn sein Name gelegentlich an der Litfaßsäule steht, gilt sogar in Lokstedt etwas, und man sieht über sein Verbrechen und seine Krankheit hinweg wie die Hotelboys im Lift über den Durchfall des Aga Khan“, heißt es in Hubert Fichtes Roman „Versuch über die Pubertät“.

Den mitgebrachten Strauß roter Rosen wird Kraetschmar folglich dem halbwüchsigen Sohn überreichen. Mit einem langen, tiefen Blick. Die Augen lassen die beiden anschließend nicht mehr voneinander und die Finger natürlich erst recht nicht. Offensiv verliebt ziehen sie von dannen, die Mutter bleibt allein zurück. Und referiert ihr glückloses Leben – in einer knappen Rede über Messer und Porzellan, über die Bedeutung von Liebe im protestantisch-hanseatischen Haushalt, über frühe Schwangerschaft und eine brotlose Rente nach langen Dienstjahren als Souffleuse. Matthias Buss vibriert dann herrlich im lachsroten Strickkostüm, sein abgespreizter Daumen zuckt, seine Stimme auch.

Regisseur Sebastian Kreyer bringt Fichtes Roman im Malersaal des Schauspielhauses auf die Bühne und schlüpft sogar selbst in eine dezente Nebenrolle. Kreyer erzählt in dieser Szene von Einsamkeit und Sehnsucht, von ungelebten und gelebten Momenten.

Es ist eine der wenigen stimmigen, atmosphärischen Augenblicke des Abends. Das liegt zum einen an der wunderbar weltmännischen Jovialität, mit der Michael Weber den alternden, schwärmerischen Verführer gibt – und so den kurzzeitig mit einen Kinderdarsteller besetzten Hubert entführt. Und zum anderen an Matthias Buss, dem in seiner Rolle als Mutter eine beachtliche Gratwanderung zwischen Betroffenheit und Persiflage gelingt, angesiedelt irgendwo zwischen historischem Kolorit und schräger Comedy.

Schlager ziehen nur mäßig

Zuvor und danach bemüht Kreyer, dessen Inszenierungen der „Physiker“ und der „Glasmenagerie“ auch auf dem Spielplan des Schauspielhauses stehen, vor allem aber selbstredende Schlager der Fünfzigerjahre. Es ist ja schließlich auch genau diese Zeit, die Hubert Fichte in seinem autobiografisch geprägten Text beschreibt. Das scheint Argument genug. Doch viele Schlager machen noch keine Atmosphäre und erst recht keine Inszenierung.

Lale Anderesen, Johanna von Koczian, Heidrun von Goesseln besingen da inbrünstig Strand­romanzen, unbezahlbare Mutterliebe und Matrosenträume, während die Darsteller abwechselnd, lautlos und ausdrucksvoll die Lippen zum Text bewegen. Der Effekt ist so hübsch wie kurzlebig. Dazwischen baut Kreyer mehr oder weniger zusammenhangslose Szenen, lässt einen klischeeschwulen Jüngling mit blonder Langhaarperücke (Sebastian Doppelbauer) auftreten, genauso wie einen schmierigen Schriftsteller mit Schiebermütze namens Herr Pozzi (Michael Weber), den Fichte-Kenner als Hans Henny Jahnn entschlüsseln.

Weiterhin lässt Kreyer Carlo Ljubek als Hubert – des Autors Ego – mittels grellrot bemalten Bäckchen, einer knappen Shorts, langen Kniestrümpfen und einer Portion Helium den halbwüchsigen, staunenden Jungen mimen. Lässt ihn vage Träume äußern, die Liebe suchen und seine Ich-Findungsversuche wenig überzeugend in den Raum rufen: „Eine Tunte! Ein Lauwarmer! Ein warmer Bruder! Ein Huch-Nein! Eine Triene! Eine Schwuchtel! Ein Arschficker!“ Es reihen sich Auflistungen berühmter Homosexueller aneinander genauso wie dahin gehauchte Szenen auf einem Straßenstrich, daneben die Paragraphen-Enge der Fünfzigerjahre mit drohender Sicherheitsverwahrung.

Dieses wechselhafte Portfolio findet in einem eigens in den Malersaal eingebauten Theaterkasten statt, der mit einer kleinen Showbühne samt roten Vorhängen an ein schäbiges Revue-Theater erinnern mag (Bühne: Thomas Dreißigacker). Der heranwachsende Hubert irrt also – auch das ist autobiografisch – durch das Hamburger Theatermilieu, entdeckt sich selbst und seine Sexualität, weiß von Gustaf Gründgens und von traumatisierten Nachkriegsdeutschen, die wiederum Schuld-Kompensation in Sartre-Texten suchen. Dafür setzt sich Ljubek meist eine wilde Lockenperücke auf, wirft sich mal einen lasziven Morgenmantel um (Kostüme: Maria Roers) fasst sich regelmäßig in die Unterhose und blickt oft genug fragend ins Publikum. Doch auch viele Gesten machen noch keine Theaterfigur.

Literarisches Bekenntnis zur Homosexualität

Der Inszenierung fehlt Abgründiges. Fichtes Text geht der Skandal verloren

1974 erschien Fichtes Roman „Versuch über die Pubertät“, in dem er seine Zeit als Kinderstar auf Hamburger Bühnen Anfang der 1950er-Jahre beschreibt, ein skandalträchtiges Szenario, ein literarisches Bekenntnis zur Homosexualität. Der Begriff der Pubertät meint darin weniger eine Lebensphase als einen lebenslangen Reifungsprozess, eine ständige Suche nach der eigenen Identität.

Kreyer zeigt den assoziativen, sprunghaft erzählten Text natürlich als Collage – allerdings entsteht aus all den einzelnen Elementen kein neues Ganzes. Seine Figuren bleiben artifiziell, wetteifern in großer Theatralik und klamaukigen Posen.

Sie kopulieren, proben Sartre und diskutieren Genet. Mal wird ein einzelner nackter Hintern goldgerahmt in Szene gesetzt, und ihm eine Eloge gebetet, mal tritt ein menschengroßer Penis auf. Wenn’s richtig absurd werden soll, lässt der Regisseur das Ensemble vom eisgekühlten Bommerlunder singen oder ein Telefonkabel-Slapstick verzappeln.

Weichgespülte Inszenierung

Abgründig oder irritierend wird der Abend so natürlich nie – stattdessen wirkt er karnevalesk, albern und für seine knappen zwei Stunden merkwürdig zäh. Fichtes Sprache, die „Empfindungsgespenster, Kinderschreck und Kantsteinfaller“ aneinanderreiht, wird in dieser Inszenierung zur Nebensache. Dem Text geht der Skandal verloren. Vielleicht liegt auf dieser Art Schwulenwelt dann doch der Staub aus vier Jahrzehnten, vielleicht aber wird er durch die aufdringliche Schlager- und Klischeedichte der Inszenierung weichgespült. Was fehlt, ist ein Sog, ein dunkler Abgrund, ein wildes und vor allem verführerisches Chaos.

Nächste Termine: Di. 22. 11., Mi. 23. 11., Fr. 25. 11., jeweils 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hamburg

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