Hat den Sprung in die nationale Spitze der Eiskunstläuferinnen geschafft: die 16-jährige Annika Hocke Foto: SebastianWells

Der dreifache Axel wird kommen

Wintersport Zwar ist Deutschland beim Eiskunstlauf international nicht mehr ganz vorne dabei – aber Berlin gehört zu den europäischen Standorten, die große Talente hervorbringen. Wie Annika Hocke: Mit der 16-Jährigen wächst ein riesiges Talent heran

von Marina Mai

Musik liegt ihr im Blut. Jeder Schritt, jede Drehung, selbst das Klimpern ihrer Augenlider kommen exakt auf den Takt. Ihr ganzer Körper zeigt dabei, welche Freude ihr dieser Sport macht. Wenn man der erst 16-jährigen Eiskunstläuferin Annika Hocke beim Training im Sportforum Hohenschönhausen zuschaut, ahnt man, dass hier ein riesiges Talent mit Showqualitäten heranwächst. Ihr Kurzprogramm läuft sie in diesem Jahr nach der Musik von „Carmen“. Carmen? Richtig, das war die Kürmusik, nach der Katarina Witt 1988 Olympiasiegerin wurde. Und zu Olympia will Annika Hocke auch einmal.

In der aktuellen Saison sind ihre Ziele noch bescheidener. „Es wäre toll, wenn ich mich für die Juniorenweltmeisterschaften qualifizieren könnte“, sagt die Sportlerin. Sie weiß aber, dass sie sich dort den einzigen deutschen Startplatz gegen zwei Sächsinnen erkämpfen müsste, die ein wenig älter sind als sie und auch stärker. Annika Hocke hat erst in der aktuellen Saison den Sprung in die nationale Spitze der Eiskunstläuferinnen geschafft.

Wenn es mit den Juniorenweltmeisterschaften nicht klappt, hofft sie auf das Europäische Olympische Jugendfestival im Februar. Hier liegt die Altersgrenze für die Teilnahme bei 16 Jahren, und in dieser Altersgruppe gibt es keine bessere deutsche Eiskunstläuferin als Annika Hocke. Allerdings wurde dieser Wettbewerb nach Erzurum im Osten der Türkei vergeben. Mehrere Staaten wie Österreich, die Slowakei und die Schweiz haben wegen der angespannten Lage dort schon ihre Teilnahme abgesagt. Deutschland könnte folgen. „Vielleicht gibt es ja einen neuen Austragungsort?“, fragt sich Hocke.

Schule und Trainingeng verzahnt

Berlin ist auf Eis gebaut

Die Berliner EiskunstläuferInnen gehören neben denen aus Oberstdorf im Allgäu zur nationalen Spitze. An der Spree trainiert die gesamte deutsche Herrenspitze im Senioren- und Juniorenbereich, darunter der Altmeister und Olympia-Achter Peter Liebers. Er hat nach einer langwierigen Verletzung das Training wiederaufgenommen will im kommenden Jahr zum Europäischen Olympischen Jugendfestival (EYOF) in Erzurum/Türkei fit sein.

Im Eiskunst-Paarlauf teilen sich die Drittplatzierten der deutschen Meisterschaft – die 17-jährige Minerva Hase und der 24-jährige Nolan Seegert – das kalte Rund mit den österreichischen Meistern sowie mehreren Nachwuchspaaren. Auch hoffnungsvolle Junioren-Eistanzpaare und die Juniorin Annika Hocke trainieren im Sportforum Berlin- Hohenschönhausen. (mai)

Der Tagesplan der Zehlendorferin ist hart. Sie hat einen weiten Weg nach Hohenschönhausen, wo sie trainiert und auch zur Schule geht. „Aber der Weg zwischen Schule und Eishalle beträgt nur 5 Minuten“, sagt sie. Schule und Training seien miteinander verzahnt. Das heißt: Eine Trainingseinheit und zwei Schulstunden an der Eliteschule des Sports wechseln einander ab. Die 9. und 10. Klasse kann sie auf drei Jahre verteilen, um Zeit für den Sport zu haben.

„Von Berlin möchte ich nicht weggehen“, sagt Annika Hocke. Nicht nur, weil es ihre Heimatstadt ist und die Familie ihr den Halt gibt, den sie für ihren Sport braucht. Auch die Trainingsbedingungen sind hier professionell und gehören zu den besten in Deutschland und Europa. Peter Liebers, Franz Streubel und Paul Fentz, die drei besten deutschen Herren im Eiskunstlauf, trainieren hier.

„Das motiviert mich. Die drei und auch Kai Jagoda, der wie ich 16 ist, können den dreifachen Axel springen. Den will ich als erste deutsche Frau zeigen“, sagt Hocke nicht ohne eine Spur Verwegenheit. International gibt es bei den Damen lediglich eine Russin und eine Japanerin, die diesen Sprung schon einmal im Wettbewerb gestanden haben. Annika Hocke übt ihn bisher mit einem Lasso. Das heißt, ihre Trainerin hält sie beim Springen in einer Art Angel fest. Die junge Frau zeigt stolz ein Video, das gerade erst am Vormittag aufgenommen wurde. Ein sauber gelandeter Dreifachaxel mit Angel. Noch zwei Jahre wird sie brauchen, bis das ohne Lasso funktioniert, meint die 16-Jährige.

„In Österreich musste ich mir die Bahn mit Achtjährigen teilen“

Miriam Ziegler trainiert in Berlin

International spielt die Musik im Eiskunstlauf in Russland, Fernost und Nordamerika. Mitteleuropäer schaffen es immer seltener in die Weltspitze. Doch innerhalb Mitteleuropas gehört Berlin zu den Standorten, die große Talente hervorbringen – und auch Talente aus anderen Städten und Staaten anziehen. So trainieren hier Miriam Ziegler und Severin Kiefer, die österreichischen Meister und EM-Neunten im Paarlaufen.

„In Österreich musste ich mir die Eisbahn mit Achtjährigen und Hobbyläufern teilen“, sagt Ziegler, die für das Gespräch mit der taz ihre Trainingsrunde kurz unterbrochen hat. „In Berlin habe ich alles: gute Trainer, Läufer auf meinem Niveau, die mich anspornen, und Eiszeiten.“ In Berlin werden die Eishallen den Sportlern kostenlos zur Verfügung gestellt, erläutert ihr Trainer Rico Rex. Und er hofft, dass das unter dem neuen Senat so bleibt. In anderen deutschen Städten müssten junge Sportler schon mal bis zu 10 Euro für eine Stunde Eishalle zahlen.

Rex ist Chemnitzer. Dort trainierte er einst selbst Paarlaufen und brachte es zu mehreren Top-Ten-Platzierungen bei Europameisterschaften sowie zur Teilnahme an den Olympischen Spielen 2006. Seine sächsische Mundart ist nicht zu überhören, wenn er seinen Paaren Korrekturen gibt. Dass Rex heute in Berlin als Trainer arbeitet, hat aber nicht nur persönliche Gründe. „Hier gibt es mehr Sportler auf jedem Niveau, die sich gegenseitig hochpuschen. Das macht die Arbeit angenehmer“, sagt er.

Dehnen gehört selbstverständlich zum Programm

Eislauf schon im Kindergarten

Und, ergänzt seine Trainerkollegin Manuela Machon, in Berlin bleibe die Talentfindung nicht dem Zufall überlassen. „Talente werden gezielt gesucht und gefördert.“ Dazu trägt ein Eislaufkindergarten in Hohenschönhausen bei, wo Kinder nicht nur den Umgang mit Schere und Kleber, sondern auch das Gleiten und Übersetzen auf Schlittschuhen lernen. 12 kleine Kufenkünstler werden jedes Jahr in die erste Klasse der Eliteschule des Sports aufgenommen, wo Training und Schule über den Tag verteilt stattfinden. „Seit einem Jahr haben wir in Charlottenburg neben Hohenschönhausen eine zweite Eliteschule des Sports, auf der man Schule mit Eiskunstlauf verbinden kann“, sagt Machon.

Während sie spricht, teilen sich sechs Sportler die Halle im Sportforum: „Das sind ideale Bedingungen, andernorts sind es doppelt so viele.“ Zu diesen sechs gehören Minerva Hase und Nolan Seegert, die große deutsche Paarlaufhoffnung für die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking. Derzeit sind die 17-jährige Schülerin und der 22-jährige Lehramtsstudent erst das drittplatzierte deutsche Paar – doch die beiden aktuellen Spitzenpaare werden nach 2018 wohl mit dem Leistungssport aufhören.