270 Seiten starke Streitvorsorge

KOALITION 100-Tage-Programm zum Start: SPD, Linkspartei und Grüne einigen sich nach sechswöchigen Verhandlungen auf die bundesweit erste rot-rot-grüne Landesregierung unter SPD-Führung

Drei für Berlin auf der Pressekonferenz: Klaus Lederer, Michael Müller und Ramona Pop Foto: Jens Kalaene/dpa

von Stefan Alberti

„Wenn die genauso verlässlich regieren, kann das ja heiter werden mit der Koalition.“ Nach sechs Wochen Koalitionsverhandlungen ist die Kollegin vom Radio nicht die Einzige, die gereizt auf die gleich um mindestens eineinhalb Stunden verschobene Schlusspressekonferenz reagiert. Nun soll sie also stehen, die bundesweit erste rot-rot-grüne Landesregierung unter SPD-Führung. Doch auf den letzten Drücker läuft es nicht ganz so rund: Zu viele Namen und Details hat der ein oder andere durchsickern lassen – und das in einer Koalition, die ihre Gespräche mit dem Anspruch auf eine andere politische Kultur begonnen hat.

Was würde vor allem werden mit dem 5.000-Wohnungen-Projekt in jenem Grüngebiet namens Elisabeth-Aue im Pankower Norden, was mit einem längeren künftigen Nachtflugverbot am BER? Das eine wollten die Grüne nicht, mit dem anderen hatte die SPD Probleme.

Als am frühen Abend schließlich drei Vertreter der künftigen Koalitionspartner vor den Journalisten sitzen – Regierungschef Michael Müller für die SPD, der designierte Kultursenator Klaus Lederer für die Linkspartei und die absehbare Wirtschaftssenatorin Ramona Pop für die Grünen – wird schnell klar: nichts.

„Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Elisabeth-Aue in den nächsten fünf Jahren nicht bebaut wird“, ist von Lederer zu hören. In Sachen Nachtruhe steht unterm Strich nur die Ankündigung, mit Brandenburg und dem Bund als Miteigentümern der Flughafengesellschaft Gespräche zu führen.

Er sehe eine Aufbruchstimmung in allen drei beteiligten Parteien, sagt Müller, der in der Mitte zwischen Lederer und Pop Platz genommen hat. Es ist ja auch nicht so, dass sie nicht noch mehr gewollt hätten als das, was sie in den nächsten Tagen auf 270 DIN-A4-Seiten präsentieren wollen. Aber zwischenzeitlich war man in der Finanzverwaltung des Senats schon der Schnappatmung nahe angesichts dessen, was da an dreistelligen Millionenbeträgen zusammenkam. Dass der Koalitionsvertrag trotzdem immer noch fast dreimal so dick ist wie der von SPD und CDU 2011, hat viel damit zu tun, dass man so viel wie möglich festschreiben wollte, um späteren Streit zu vermeiden.

Als die CDU höflicherweise Ende September ein paar Stunden mit der SPD sondieren durfte, hatte ihr Spitzenkandidat und Innensenator Frank Henkel reumütig auf die rot-schwarzen Verhandlungen 2011 zurückgeblickt und bekundet, damals habe man zu wenig festgezurrt.

Die Koalitionsverhandlungen sind nach rund sechs Wochen am Ziel, der Vertrag über das bundesweit erste rot-rot-grüne Bündnis unter Führung der SPD ist fertig. Der Entwurf des Koalitionsvertrags muss noch von den drei Parteien gebilligt werden. Die Grünen treffen sich am 3. 12. zu einer Landesdelegiertenkonferenz, die SPD plant einen Parteitag am 5. 12.; die Linke startet umgehend eine Mitgliederbefragung, das Ergebnis soll bis 7. 12. vorliegen.

Wenn alle Parteien dem Koalitionsvertrag zustimmen, soll der alte und neue Regierende Bürgermeister Müller bei der dritten Sitzung des neuen Abgeordnetenhauses am 8. 12. gewählt werden. Anschließend werden er und seine Senatoren vereidigt. Dann nimmt der neue Senat seine Arbeit auf. (dpa)

Lederer kündigt ein 100-Tage-Programm an, sobald der neue Senat am 8. Dezember im Amt ist. Für Müller stehen dabei die Themen Personal und Verwaltung ganz vorne an – „da gibt es gar keinen Grund, zu warten.“ Große Wirkung erwarten sich die Koalitionäre davon, alle Zuständigkeiten fürs Personal, bislang auf zwei Senatsverwaltungen aufgeteilt, künftig bei dem offenbar weiteramtierenden Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) zu bündeln. Ein neuer Staatssekretär soll sich eigens darum kümmern.

Um für die in den nächsten Jahren jeweils neu zu besetzenden 5.000 bis 6.000 Stellen im Landesdienst auch gute Leute zu bekommen, soll unter anderem mehr Gehalt den Job attraktiver machen: Am Ende der Wahlperiode, also 2021, sollen Berliner Beamte endlich so viel verdienen wie Beamte im Bundesdurchschnitt.

Noch während der Pressekonferenz meldet sich die CDU mit einer Reaktion. „Impulslos, hoffnungslos, trostlos“ nennt ihr Fraktionschef Florian Graf das rot-rot-grüne Bündnis. Als ob er das hätte kommen sehen, sagt Lederer: „Wir wissen, dass wir unter besonderem Verdacht stehen, das Geld zum Fenster rauszuschmeißen.“ Tatsächlich habe man sich die verfügbaren Finanzen genau angeschaut und nichts überbucht. Bloß das mit der Ansage, die Steuern nicht zu erhöhen, das relativiert er noch ein bisschen: Jetzt brauche man die höheren Steuern nicht – in drei, vier Jahren könne das aber anders sein.