Das Ding, das kommt
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Stuhlstapel stehen im Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus für das Stapeln als „Prinzip der Moderne“. Dass sie auf Sklavenschiffen erfunden wurden, lernt man in Hamburg im Musiktheater „Fin de Mission“ Foto: Stephan Glagla

Ordentlich durcheinandergestapelt

Sie sparen viel Platz und nehmen zugleich immer mehr Platz im Alltag ein: Stapel überall, im Kinderzimmer, im Kleiderschrank, im Getränkemarkt; dicht an dicht Container, Kästen, Paletten; Geschirrstapel, Bücherstapel, Stuhlstapel – Türme aus immer gleichen Dingen.

Im Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus kann man jetzt sehen, wie in die Uniformität geradezu ein erzieherischer Aspekt hineindesignt ist: Man kann nicht anders, als Nick Roerichts Systemgeschirr „TC 100“ immer wieder übereinanderzustapeln. Oder Lego-Steine.

Dass das Stapeln viel mehr bedeutet, als einfach nur Dinge auf andere gleiche Dinge zu stellen, ist die Idee der Ausstellung im Designmuseum: eine grundlegende Kulturtechnik, ein „Prinzip der Moderne“. Denn das Stapeln als Technik ist so alt noch nicht. Aber doch älter als Baukasten und Bauhaus.

Deswegen stehen auch zu Beginn der Musiktheaterperformance „Fin de Mission – ohne Auftrag leben“ des Bochumer „Kainkollektiv“ und des kamerunischen Theaterkollektivs „Othni“ – die ab Donnerstag in Hamburg drei Mal auf Kampnagel zu sehen ist – am Beginn nur Stapel von Plastikstühlen ganz allein auf der Bühne. Dann werden sie zu Mauern und anderen Barrieren für die Tänzer*innen und Schauspieler*innen – oder zu einem Gräberfeld. Denn die Technik, Stühle übereinanderzustapeln, die wurde auf Sklavenschiffen erfunden, hat Regisseur Fabian Lettow herausgefunden.

Zum zweiten Mal arbeiten das deutsche Ensemble und das afrikanische Theaterlabor zusammen, um mit theatralen und musikalischen Mitteln auf die Suche nach dem kolonialen Erbe in der ehemaligen deutschen Kolonie zu gehen. „Fin de Machine – Exit. Hamlet“ hieß 2013 der erste Teil, der fragte, wie die Kolonialmaschine konstruiert ist – und wie man aus ihr aussteigen könnte.

Diesmal steht die kaum erforschte und auch in Kamerun heute weitgehend verdrängte Sklaverei im Zentrum. Gemeinsam gingen beide Gruppen im Sommer auf Recherchetour in Kamerun. Dort besuchten sie unter anderem den ehemaligen Sklavereihafen in Bimbia und fuhren mit dem Schiff ins Küstenstädtchen Manoka, wo zumindest noch ein Turm aus übereinandergestapelten Steinen die Deportation von elf bis 15 Millionen Sklaven bezeugt.

„Fin de Mission“ selbst ist alles andere als ein fein säuberlich übereinandergestapeltes Bühnenstück. Ausgehend von Monteverdis Oper „Orfeo“ – der ersten überhaupt – wird das gemeinsam Verdrängte als hybride Klanglandschaft auf die Bühne geholt: als Mix aus Klage- und Totenliedern, Arbeits- und Widerstandsgesängen und europäischem Opernrepertoire. MATT

„Stapeln. Ein Prinzip der Moderne“: bis 17. April 2017, Wilhelm-Wagenfeld-Haus Bremen.

„Fin de Mission – ohne Auftrag leben“: Do, 24. 11., bis So, 26. 11., 19.30 Uhr, Kampnagel Hamburg