Nicht alle freuen sich über den Nobelpreis
Revolution in der Arztpraxis

Der Forschungsstand-ort Deutschland ist doch nicht so schlecht wie sein Ruf. Wohl jeder an einem hiesigen Institut arbeitende Forscher, der mit dem Nobelpreis geehrt wird, muss für die Imageaufbesse-rung herhalten. Mit dem Physiker Theodor Hänsch vom MPI in Garching ist das seit längerem wieder einmal der Fall. Weitaus ungewöhn-licher ist dieses Jahr jedoch der Nobelpreis für Medizin. Den erhielten zwei Ärzte, die ihre bahnbrechen-den Arbeiten an einem normalen Krankenhaus durchführten.

Im Spaß haben die beiden australischen Ärzte Barry Marshall und Robin Warren schon öfter darüber spekuliert, wann sie wohl dran sein werden mit dem Nobelpreis für Medizin. Am Montag kurz vor zwölf mitteleuropäischer Zeit kam der Anruf vom Nobelpreis-Komitee. Der 54-jährige Marshall und sein 14 Jahre älterer Kollege Warren saßen gerade in einer Kneipe in Perth, als das Handy klingelte und sie die Nachricht bekamen, dass sie die Medizin-Nobelpreisträger 2005 seien. Ausgezeichnet wurden sie für ihre bahnbrechenden Arbeiten über die Ursache von Magengeschwüren und Magenschleimhautentzündungen. Entgegen der damaligen Lehrmeinung wiesen sie nach, dass in den allermeisten Fällen ein winziges, spiralförmiges Bakterium, Helicobacter pylori, für die Magenerkrankungen verantwortlich ist.

Früher wurden vor allem Stress, falsche Ernährung und ein ungesunder Lebensstil als Ursache von Magengeschwüren verantwortlich gemacht. Als Folge davon trat dann auch oftmals Magenkrebs auf. Auch war in jedem Lehrbuch zu lesen, dass in dem hochsauren Milieu des Magens Bakterien überhaupt nicht lebensfähig seien. Als Warren und Marshall 1983 verkündeten, sie hätten aus Magenproben Bakterien isoliert und diese seien für die Magenerkrankungen verantwortlich, wurden sie als Spinner abgetan.

Jahrelang noch wurden sie ausgelacht, verspottet und missachtet. Vor allem auch in der Pharmaindustrie wollte man über die Arbeiten der beiden australischen Ärzte, die damals in einem gewöhnlichen Krankenhaus in Perth arbeiteten, nichts wissen. Die Pharmaindustrie machte mit ihren Bindemitteln für Magensäure noch riesige Umsätze.

Es sollte noch viele Jahre dauern, bis Marshall und Warren das Mediziner-Dogma umstoßen konnten. Heute ist auch in den Arztpraxen anerkannt, dass Helicobacter pylori für rund 80 Prozent der Magenschleimhautentzündungen und 90 Prozent der Zwölffingerdarmgeschwüre verantwortlich ist. Bekannt ist mittlerweile auch, dass in den Industrienationen etwa 40 Prozent der Menschen mit dem Erreger infiziert sind. In den Entwicklungsländern sollen die Infektionsraten noch höher sein. Die Infektion erfolgt meist schon im Kleinkindalter. Vermutet wird, dass sich die Kinder bei der Mutter anstecken. Unbekannt ist jedoch noch, warum nicht bei allen Infizierten auch Magenerkrankungen auftreten.

Dank der Arbeiten von Marshall und Warren hat sich heute die Behandlung von Magengeschwüren drastisch verändert. Wurde früher die Magensäure mit Medikamenten neutralisiert, häufig auch operiert, reicht heute eine 7-tägige Therapie mit zwei verschiedenen Antibiotika aus, um das Magenleiden in den Griff zu bekommen. Die Rückfallquote bei Geschwüren wird heute nach einer Behandlung mit „nahezu null“ angegeben. „Die Arbeit von Marshall und Warren brachte eine der radikalsten und wichtigsten Wenden der vergangenen 50 Jahre in der Wahrnehmung eines Krankheitsbildes“, lobte deshalb auch die britische Royal Society die beiden Nobelpreisträger.

Ausdrücklich würdigte das Nobelpreiskomitee die Beharrlichkeit, mit der Warren und Marshall unbeirrt von den Anfeindungen an ihrer Entdeckung festhielten. Um die Fachkollegen zu überzeugen, griffen die beiden Mediziner sogar zu einem Selbstversuch.

Marshall schluckte vor Verzweiflung über die Ignoranz der Kollegen in den Achtzigerjahren einen „Bakteriencocktail“ mit dem Erreger. „Ich hatte damals eine Infektion und fiel daher als Versuchsperson aus“, erklärte Warren vor wenigen Tagen. Bei Marshall hatte der Bakteriencocktail die erwünschte Wirkung. Ihm würde kotzübel und er litt unter einer Schleimhautentzündung. WOLFGANG LÖHR

Chemische Reaktionen

Ungewöhnlich kühl reagierte der frisch gekürte französische Chemienobelpreisträger Yves Chauvin, als er aus Stockholm die Mitteilung erhielt, dass er zu den drei Auserwählten gehört. „Ich bin eher peinlich berührt“, sagte der 74-jährige Chauvin an seinem Wohnsitz in Tours. Er habe die Nachricht vom Nobelpreis „ohne besondere Freude“ aufgenommen und fürchte nun eher um sein ruhiges Dasein. Schließlich lägen seine ersten Durchbrüche als Forscher immerhin 35 Jahre zurück.

Ganz anders reagierten die beiden anderen Preisträger, die US-Amerikaner Richard R. Schrock (60 J.), vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Robert H. Grubbs (63 J.), vom California Institute of Technology (Caltech). Sie waren zwar nicht überrascht, freuten sich aber über die Ehrung.

Ausgezeichnet wurden die drei Chemiker dafür, dass sie neue Wege für die Produktion von Kunststoffen und Arzneimitteln aufzeigten. Das von ihnen entwickelte Verfahren gehöre zu den wichtigsten der Chemie, begründete die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften ihre Auswahl.

Alle drei waren an der Entwicklung der so genannten Metathese beteiligt, die heute in der chemischen Industrie zur Routine gehört. Sie bedeute einen großen Fortschritt auf dem Weg zu einer „Grünen Chemie“, erklärten das Nobelkomitee. Die von den Wissenschaftlern entwickelte Methode sei ein Beispiel dafür, was Grundlagenforschung zum Nutzen der Menschheit, der Gesellschaften und der Umwelt leisten könne, heißt es in der Preisbegründung. Die Metathese verringere den Anteil gefährlicher Substanzen an zahlreichen chemischen Verfahren, verursache weniger Müll, vereinfache die Herstellungsgänge und mache sie effizienter.

Grundidee der Metathese ist, Kohlenstoffatome als Substanz allen organischen Lebens dazu zu bringen, neue Verbindungen einzugehen. In einer ungewöhnlichen Demonstration der chemischen Vorgänge führten zwei weibliche und zwei männliche Mitglieder des Preiskomitees bei der Bekanntgabe der Gewinner in Stockholm einen kleinen Tanz auf: Sie wechselten von Partner zu Partner und gaben damit ein einfaches Bild der komplexen Entdeckung der drei Wissenschaftler.

Chauvin fand 1971 das grundlegende Rezept für die Metathese. Er arbeitet für das Institut Français du Petrole in Rueil-Malmaison. Schrock war 1990 der erste, der einen effizienten Katalysator entdeckte, der sie auslöst. Zwei Jahre später fand schließlich Grubbs einen Wege, mit dem das Verfahren vereinfacht und stabilisiert werden konnte, so dass es heute in zahlreichen Bereichen eingesetzt wird.

Die Akademie äußerte sich optimistisch, dass die Methode auch dazu genutzt werden kann, um neue Methoden gegen Krankheiten wie Aids und Alzheimer zu finden. „Die Möglichkeiten werden bald nur noch durch die Fantasie begrenzt werden.“ WLF/RTS

Schwingende Lichtwellen

Die exaktesten Uhren der Welt werden in Zukunft wahrscheinlich aufgrund einer deutschen Technologie ticken: Theodor W. Hänsch (63 J.) vom Garchinger Max-Planck-Institut für Quantenoptik entwickelte ein Verfahren, das die rasend schnellen Schwingungen von Lichtstrahlen misst. Atomuhren, die bis zu tausendmal genauer sind als bisherige, schaffen die Voraussetzungen für verbesserte Navigationssysteme und eine Orientierung im Weltraum.

Unabhängig von Hänsch trieb auch der US-amerikanische Physiker John L. Hall (71) von der Universität in Colorado die Technik voran. Für ihre Leistungen teilen sich beide Forscher die eine Hälfte des Physiknobelpreises 2005. Die andere Hälfte erhält der achtzigjährige Roy J. Glauber von der Harvard-Universität, der die theoretischen Grundlagen für das Verfahren lieferte, als er in den 1960er-Jahren die Konzepte der Quantenmechanik auf die Natur des Lichtes übertrug.

Die hohen Frequenzen der Lichtwellen direkt messen zu können war schon seit langer Zeit ein erklärtes Ziel vieler Forscher. Da Lichtwellen mehrere hunderttausendmilliarden Male pro Sekunde schwingen, schien dies aber ein schwieriges Unterfangen zu sein. Hänsch und Hall gelang es nun, das Problem zu bewältigen, indem sie einen Laser mit außergewöhnlichen Eigenschaften entwickelten.

Die Pulse, die dieser Laser aussendet, bestehen aus ultrakurzen Schwingungen, und die scharfen Frequenzbänder des Laserlichts ähneln den Zinken eines Kammes. Da der Abstand zwischen zwei benachbarten Frequenzen konstant und bekannt ist, ähnelt dieser Frequenzkamm einem Lineal – und genau wie mit einem Lineal kann man mit ihm messen: Will man eine unbekannte Frequenz bestimmen, vergleicht man sie so lange mit den scharfen Spektrallinien des Kamms, bis man die richtige findet.

Hierzu bestrahlt man den Laser mit der unbekannten Lichtfrequenz. Wird die unbekannte Lichtfrequenz von ihr ähnlichen Kammfrequenzen überlagert, sendet der Laser messbare Blitze aus. Aus der Zahl dieser Blitze können die Forscher dann die genaue Zahl der Schwingungen der ursprünglichen Lichtwelle bestimmen.

„Das müssen Sie sich vorstellen wie ein Getriebe, bei dem sich ein kleines Zahnrad unglaublich schnell dreht und ein großes langsam genug, dass man seine Umdrehungen zählen kann“, erläutert ein Mitarbeiter Halls, der deutsche Quantenphysiker Wolfgang Ertmer von der Universität Hannover.

Die Methode eröffnet erstaunliche Möglichkeiten. So erlaubt die Technik den Bau „optischer Uhrwerke“, die anstelle von Atomen flinkere Elektronen als Pendel verwenden. Eine bedeutende Rolle könnte die neuen Uhren in der Kommunikationstechnik spielen. Aufgrund der exakteren Zeitübermittlung würden Satellitennavigationssysteme weitaus besser sein als bisher – millimetergenaue Angaben wären nun möglich.

Darüber hinaus bekäme auch die Grundlagenforschung ein brillantes Werkzeug zur Verfügung gestellt. Seit vielen Jahren denken Wissenschaftler darüber nach, ob die Naturkonstanten während der Entfaltung des Universums wirklich gleich bleiben. In der kurzen Zeitspanne eines Menschenlebens kann dieses Problem nur dann experimentell gelöst werden, wenn die Messungen mit höchster Genauigkeit durchgeführt werden. Hänsch gelang bereits die bislang genaueste Bestimmung einer Naturkonstanten – der so genannten Rydberg-Konstanten, die sich aus der Elektronenmasse, dem Planck’schen Wirkungsquantum und der Feinstrukturkonstanten zusammensetzt.

Zeigt die Ehrung, dass es um die deutsche Forschung gar nicht so schlecht bestellt ist, wie in letzter Zeit wiederholt angenommen? Hänsch jedenfalls ist dieser Meinung. „Die Auszeichnungen zeigt“, erklärt er, „dass man auch in Deutschland sehr gut wissenschaftlich arbeiten kann.“

CLAUDIA BORCHARD-TUCH