ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Die Mauer im Magen

Tun Sie etwas für die Liebe und für die Einheit. Kochen Sie dieses Gericht nach:

Ein altes Brötchen einweichen und vermischen mit: 300 g Gehacktem, 1 Ei, 1 klein geschnittenen Zwiebel, Pfeffer u. Salz, daraus kleine, runde Klopse formen.

Topf halb voll mit Wasser,

1 grob geschnittene Zwiebel,

5 Lorbeerblätter,

5 Pimentkörner,

2 EL Brühe

zum Kochen bringen, Klopse rein

15 Minuten ziehen lassen

inzwischen 3 EL Mehl mit halber Tasse Dosenmilch gut verrühren,

Klopse aus dem Wasser nehmen,

Mehlmilchmischung in kochendes Wasser einrühren, am besten mit Quirl: keine Klümpchen!

Vom Herd nehmen.

1 Eigelb unterrühren.

Soße vorsichtig mit Essig (kein Balsamico!) und Salz würzen

Kapern nicht vergessen

Klopse wieder in Soße

Dazu Salzkartoffeln

Königsberger Klopse gelten nicht gerade als ein Gericht, mit dem man die Herzen der Frauen gewinnt. Manche finden sogar, es sei seltsam, für eine Frau Königsberger zu kochen. Die Frau, die ich liebe, findet das bedauerlicherweise auch.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir reden hier nicht über die erste Einladung an den eigenen Herd: Da muss es natürlich mindestens ein Fünf-Gänge-Menü sein. Wenn man sich dann ein bisschen kennt und irgendwann ein bisschen länger kennt, gibt es wieder mehr Zeit fürs Kochen. Dann kommen Kinder und man hat überhaupt keine Zeit mehr: weder für sich noch fürs Kochen. Schafft man es, zusammen zu bleiben, bis die Kinder aus dem Haus sind, wird man allerdings belohnt: Man kann sich dann wieder neu kennen lernen. Und wieder neu kochen lernen.

Aber die Jahre bis dahin fürchten viele Paare in unserer Konsumgesellschaft. Gerade Akademikerinnen und Akademiker dehnen daher die postsexuelle, präinfantile Phase auf viele Jahre aus und kultivieren Essgewohnheiten, als wären es Neurosen. Das sind Menschen, die alle Weinhändler ihrer Stadt mit Vornamen kennen, sechs Sorten Pfeffer im Haus haben und am Wochenende 400 Kilometer fahren für „eine gute Babylammschulter“.

Bei uns hingegen kommt alles auf den Tisch. Alles außer Königsberger. Denn Königsberger isst meine Freundin nicht. Nie. Nicht einen Teller. Nicht eine Gabel. Nicht einmal eine Löffelspitze probiert sie, wendet sich angewidert ab und geht lieber hungrig zu Bett. Als wir uns kennen lernten, dachte ich, das hat politische Gründe. Vielleicht hielt sie Königsberger Klopse ja für das Leibgericht der organisierten Vertriebenen aus Ostpreußen, für einen Revanchistenfraß also. Ich argumentierte, man dürfe das nationale Erbe nicht den Rechten überlassen: Aß nicht Immanuel Kant Königsberger Klopse, als er seine „Kritik der praktischen Vernunft“ schrieb? Und die Mutter der kleinen Hannah Arendt kochte auch nicht nur Matzeballen, bevor sie aus Deutschland vertrieben wurde.

Doch ich lag falsch: Nicht die Nazis hatten meiner Geliebten die Freude an Königsbergern vergällt, sondern die DDR, in der sie ein Schulkind war.

– „Einmal in jeder Woche gab es Königsberger in der Schule“, erinnert sie sich unter körperlichen Schmerzen: „Sie waren grau. Sie waren alle gleich groß und quadratisch. Sie schmeckten wie durchgeweichte Pappe.“

– „Oh Gott, und wer sie nicht aufaß, bekam einen Eintrag in der Stasi-Akte?“, fragte ich entsetzt.

– „Nein, schlimmer: Der bekam keinen Nachtisch.“

Ein deutsch-deutsches Missverständnis. Königsberger im Westen – das war die liebevolle Oma mit dem seltsamen Akzent. Königsberger im Osten – das war die normierte Pappe von Staats wegen.

Und obwohl wir seit fünfzehn Jahren ein Volk – und in unserem Fall seit etlichen Jahren sogar ein Paar sind –, kochen wir immer noch aneinander vorbei.

Aber das muss nicht so bleiben, liebe Landsleute. Auch als Westdeutscher kann man jetzt einmal etwas für die Einheit tun. Wessis, kocht Königsberger und schafft sie nach drüben! Füttert die Ossis nicht mehr mit Geld, sondern mit Klopsen. Deutsche, reißt endlich die Mauer in den Mägen nieder! Das Rezept steht oben links.

Andere Rezepte? kolumne@taz.de Montag: Susanne Lang über DIE ANDEREN