Hamburger Szene
: Angriff der Eierschalen

Der Bewohner muss die Kinder mit dem Besen verjagt haben

Am Tag danach riecht die Luft nach einer Mischung aus Altherrenduft und langsam rottenden Eiern. Die Backsteinmauer an meinem Hauseingang ist mit rot-weißem Rasierschaum beschmiert, die Klingel völlig verklebt. Es war Halloween – und auf der Veddel bedeutet das eine Art Ausnahmezustand.

Klar, auch hier sind ein paar Kinder als Geister, Hexen oder Monster verkleidet unterwegs, in der Hand einen orangenen Eimer in Kürbisform. Aber den meisten Kindern hier geht es nicht ums Sichverkleiden, Süßigkeitensammeln und ein paar harmlose Klingelstreiche. Sie ziehen in Gruppen von zehn oder fünfzehn über die Insel. Wichtigstes Equipment: Rasierschaum und rohe Eier, einige haben auch Böller dabei. Es ist ein Abend kindlicher Anarchie.

„Wartet auf mich, nur noch dieses Fenster“, brüllt ein Junge seinen Freunden hinterher und sprüht dann eine dicke weiße Schaumspur an eine Scheibe. Er ist noch Jahre davon entfernt, den Rasierschaum für andere Zwecke zu brauchen. Davon, dass ich daneben stehe, lässt der Knirps sich nicht irritieren. Ich sage auch nichts. Hat keinen Zweck. Um mich herum ist sowieso schon alles voll von dem Zeug.

Meine Nachbarn hat es schlimmer erwischt als unser Haus. Ein Stückchen weiter ist ein Fenster völlig mit Dotter und einer undefinierbaren roten Soße verschmiert. Eierschalen liegen auf dem Fensterbrett. Es sind so viele, dass es wie eine gezielte Attacke wirkt. Der Bewohner muss die Kinder wohl mit dem Besen verjagt haben, statt ihnen Süßes zu geben. Dann gab’s Saures – oder das Erdgeschossfenster an der Ecke war einfach ein gutes Ziel.

Genau wie die Fensterscheibe eines Kiosks. In die flog aber kein Ei, sondern etwas Größeres. Die Betreiber haben von hinten gestapelte Bierkästen ins Schaufenster gestellt, um das riesige Loch zu verschließen. Aus dem Rahmen hängen große, spitz gezackte Splitterstücke.

Auf der Veddel läuft schon die Vorbereitung auf Halloween anders ab als in anderen Stadtteilen. Dort werden Berge von Schokolade, Gummibären und Bonbons gekauft, um sie an die Kinder vor der Wohnungstür zu verteilen. Bei uns erkennt man echte Halloween-Veteranen an etwas anderem: Sie haben ihre Fenster in Klarsichtfolie gewickelt. Andrea Scharpen