: Schach dem Krach
Störgeräusche Der kleine Club „Ausland“ liebt das Ausgefallene. Beim Festival „Pop im Ausland“ kamen Profis des Unberechenbaren mit Perücken und Glockenspielen und arbeiteten hart an der Desorientierung
von Andreas Hartmann
Wir befinden uns im Jahre 2016 n. Chr. Der ganze Prenzlauer Berg ist von Hipstern und Touristen besetzt. Der ganze Prenzlauer Berg? Nein! Mit dem kleinen Club „Ausland“ in der Lychener Straße hat sich in dem Stadtteil ein kleines Fleckchen für die Subkultur erhalten. Der Laden hat sich in den letzten Jahren zu dem Lieblingsort der sogenannten Berliner Echtzeitmusikszene entwickelt, die sich hier zu freien Improvisationen trifft. Prinzipiell ist das „Ausland“ aber für jeden Stil und jedes Genre offen, solange es sich dabei um Musik jenseits der Norm handelt.
Wie weit man bei seiner Suche nach stilistischer Entgrenzung zu gehen bereit ist, demonstriert der kleine Club vor allem mit seinem Mini-Festival „Pop im Ausland“. Sehr dehnbar hier, der Begriff Pop. Schon bei der ersten Ausgabe des Festivals im letzten Jahr war es beeindruckend, wie an einem gemütlichen Sonntagnachmittag der japanische Noisemusiker Hijokaidan dem Publikum zuerst eine schmerzhafte Ohrendusche verpasste und es dann noch stundenlang mit den hypnotischen Filmen des Berliner Videokünstlers Oliver Pietsch betäubt wurde.
Duell der Klangerzeuger
Auch für die zweite, viertägige Ausgabe des Festivals galt wieder: Nichts kann zu ausgefallen sein, um für die beiden Kuratoren Gregor Hotz und Guido Möbius unter ihren eigenwilligen Pop-Begriff zu fallen. Japanischer Synthiepunk, Neo-NDW, House, alles passte oder wurde einfach passend gemacht. Am Sonntagnachmittag zu Kaffee-und-Kuchen-Zeit dann wieder, weil es schon im letzten Jahr so schön war: einfach nur wunderbarer elektronischer Krach.
Man hat das ja nur noch selten bei Konzerten in Berlin, dass man sich als Gast leicht desorientiert fühlt und nie so recht weiß, was genau einen als Nächstes erwartet. Zur Jahrtausendwende waren die „Klangkrieg“-Events in der Insel der Jugend im Treptower Park diesbezüglich stilbildend: In einem Raum konnte man irgendwelchen schrägen Synthieschraubern zusehen, im anderen zu Gabba tanzen, beim Flanieren befand man sich dann in einem permanenten Schockzustand. „Pop im Ausland“ knüpft ein wenig an diese Klangkriegtradition an, auch wenn man für seine Experimente anders als die Insel der Jugend nur einen einzigen Konzertsaal zur Verfügung hat.
Reaktion verweigern
Das Festival war recht gut besucht, außer vielleicht am Sonntag, als sich am Ende die beiden Hongkonger Elektroniker Dennis Wong und Yan Jun zum Soundschach trafen und nur noch wenige Besucher diesem Duell zusahen. Die beiden Musiker saßen sich konzentriert gegenüber, jeder hatte vor sich eine Palette an Klangerzeugern, und dann kam jeder abwechselnd zum Zug. Der eine kreierte ein paar Störgeräusche, drückte auf die Schachuhr, dann war der andere dran, um darauf zu reagieren. Klingt nach einem komischen Konzept, funktionierte aber wundersamer Weise.
Auch weil der eine einfach mal die Reaktion auf den Entwurf des anderen verweigerte, einen Moment lang Stille zuließ und so beide Klangstrategen stets unberechenbar blieben. Das Soundschach hier in Prenzlauer Berg war jedenfalls spannender als die ersten Partien bei der echten Schach-WM in New York, die mit ein paar müden Unentschieden endeten. Beim zweiten Abend von „Pop im Ausland“ dagegen: volles Haus. Es herrschte durchaus Gedränge beim Auftritt von Leichtmetall aus München, einem Duo, das mit Perücken und wirklich ausgesprochen altmodischen Kleidern stoisch Glockenspiele bearbeite, während dazu schlicht-schräge Elektronikbeats erklangen. Echte Begeisterung kam danach sogar beim Auftritt von Felix Kubin auf, einem bestens zu „Pop im Ausland“ passenden Musiker, Komponisten und Hörspielmacher, da man bei ihm einfach nie sicher weiß, was für eine Art Musik als Nächstes von ihm zu erwarten ist. Ins „Ausland“ kam Kubin mit einem Trio.
Ein Mann stand links am Kontrabass, Andrew Krell, rechts saß Kubin an der Elektronik und in der Bühnenmitte trat die Sängerin Pia Burnette mit einem unnachahmlich billig wirkenden Gossen-Diven-Glamour auf. Was war das? Sci-Fi-Jazz-Schlager? Osteuropäischer Retro-Futurismus? Keine Ahnung. Es war Pop. Pop im „Ausland“.
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