Grünen-Parteitag

Wie mutig sind die Grünen noch? Was trauen sie sich und ihren WählerInnen zu? Beobachtungen vom Parteitag in Münster

Der westfälische Frieden der Grünen

STEUER Es ist nicht gerade die Weltrevolution, aber ein Erfolg für den linken Flügelmann Anton Hofreiter gegen Winfried Kretschmann: Die Vermögensteuer soll kommen. Irgendwann, irgendwie und nur für „Superreiche“

Demonstrativ lässig: Grünen-Gast Zetsche Foto: B. Thissen/Picture alliance/dpa

AUS MÜNSTER ULRICH SCHULTE

Anton Hofreiter erzählt am Rednerpult eine Szene aus seinem Politikeralltag. Ein Wähler habe ihn angesprochen, ein hart arbeitender, ehrlicher Steuerzahler, der in seiner Freizeit auch noch das Klassenzimmer der Kinder streichen solle. Jener also, ruft Hofreiter, frage zu Recht: Und die Superreichen zahlen nichts? „Das ist Gift für die Demokratie.“

Hofreiter wird immer wieder von Applaus unterbrochen. Die Debatte ist der Höhepunkt des Grünen-Parteitages in Münster. Von ihr verspricht sich die Parteispitze die Versöhnung zerstrittener Flügel, endlich soll die Ökopartei ihren Endlosstreit über die Steuerpolitik beenden.

Eine gute Stunde später steht Hofreiter wieder auf der Bühne, klatscht Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann ab, legt einen Arm um seine Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Die beiden hatten mit ihm den entscheidenden Antrag geschrieben. Die Grünen, jetzt ist es offiziell, werden im Bundestagswahlkampf 2017 für die Vermögensteuer kämpfen. Ihr Ziel: eine „verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögensteuer für Superreiche“. Wobei offen bleibt, wer „superreich“ ist.

Es geht in dieser Debatte nicht nur um Zahlen, sondern um Grundsätzliches. Sollen Vermögende mehr Geld für die Infrastruktur des Staates zahlen? Wo beginnt Reichtum? Wie mutig sind die Grünen noch?

Nach siebeneinhalb Stunden Debatte und fast 50 Reden ist man geneigt zu sagen: Ein bisschen Rebellentum steckt noch in den Grünen. Die Partei geht mit dem Wahlkampfthema Vermögensteuer ein Risiko ein. Die Wirtschaftsverbände lehnen sie ab, für Union und FDP ist sie des Teufels.

Die Vermögensteuer wurde zur Chiffre – ihre Fans bevorzugen Rot-Rot-Grün, ihre Gegner Schwarz-Grün

Für Hofreiter aber ist dies ein wichtiger Sieg. Wenn wenige Superreiche immer mehr besitzen und sich in eine Parallelwelt zurückziehen, gefährdet das die Demokratie – so sieht er das. Hofreiter will im Bundestagswahlkampf Spitzenkandidat werden und kämpft in der Urwahl gegen Cem Özdemir und Robert Habeck. Während der Bayer sich früh klar in der Steuerfrage positionierte, hielten sich Özdemir und Habeck bedeckt.

Für einen ist das Votum jedenfalls eine Niederlage. Winfried Kretschmann, der starke Mann aus Baden-Württemberg, ist ein entschiedener Gegner der Vermögensteuer. Nur mit einer guten Eigenkapitalausstattung könnten deutsche Unternehmen im Wettbewerb mit Firmen aus China oder den USA konkurrieren, sagt Kretschmann auf dem Parteitag – und bringt die Steuerpolitik mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten in Verbindung. Schon bei einer guten Wirtschaftslage, sagt er, liege die AfD in seinem Land bei 15 Prozent. „Was passiert, wenn wir in die Arbeitslosigkeit rutschen? Das will ich mir nicht vorstellen.“

Totenstille im Saal, viele verblüffte Gesichter. Der Verzicht auf eine Vermögensteuer schützt vor den Rechten? Diesen Gedanken muss man nicht teilen. Am Ende bekommt Kretschmann trotzdem viel Applaus. Özdemir läuft zu Kretschmann und gratuliert. Seine Co-Chefin Simone Peter, die zuvor vehement für die Steuer geworben hatte, bleibt mit unbewegter Miene sitzen. Einige Delegierte klatschen gar nicht. Die Grünen und die Steuerpolitik, das wirkt manchmal wie der Filmklassiker „Szenen einer Ehe“. Nach außen soll alles möglichst harmonisch wirken, doch die Beziehung ist längst zerrüttet.

Jürgen Trittin etwa, ehemals Fraktionschef und seit jeher ein Gegenspieler des Oberrealos, war 2013 der wichtigste Grüne in einem heute allgemein als zu links und zahlenlastig empfundenen Wahlkampf. Jetzt kämpft er vehement für die Vermögensteuer. Am Ende steht der halbe Saal und jubelt. Es wirkt, als habe da jemand das Ventil eines Dampfdrucktopfes geöffnet. Die Grünen-Basis hat offensichtlich ein riesiges Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und klarer Kante.

Kretschmann hat die Grünen immer wieder verstört. Er schloss ein Bündnis mit der Linkspartei aus. Er lobte die klassische Ehe und wandte sich gegen zu viel Political Correctness. Und er wünschte sich eine weitere Amtszeit der CDU-Kanzlerin. Die Vermögensteuer wird auf diesem Parteitag auch zum Symbol gegen Kretschmanns Dominanz.

Es müssen ja nicht alle harmonisch dreinschauen: Grünen-Chef Cem Özdemir (vorne) und Grünen-Chefin Simone Peter (Dritte von links) auf dem Parteitag in Münster Foto: Bernd Thissen/dpa

Viele Grüne empfinden ein bisschen Genugtuung. Der Haushälter Sven-Christian Kindler läuft mit einem breiten Lächeln durch die Flure: „Sehr starkes Signal im Kampf gegen die Ungleichheit.“

Und es gab noch weitere Signale. So kam ein Antrag durch, der die komplette Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen fordert. Beim Ehegattensplitting werden die Grünen hingegen vorsichtiger. Nur noch für künftige Ehen wollen sie diese Subvention abschaffen. Für bereits geschlossene Ehen soll alles bleiben, wie es ist.

Die große Frage ist, ob der westfälische Frieden der Grünen den Parteitag überdauert. Der Vermögensteuer war zu einer Chiffre für strategische Fragen geworden – ihre Fans bevorzugen Rot-Rot-Grün, ihre Gegner Schwarz-Grün. Werden jetzt alle die Beschlüsse akzeptieren? Oder weiter streiten?