Tatort Der Sonntagabendkrimi ist die letzte Trutzburg des deutschen Fernsehens
: 1.000 Mal gesehen

1974, der 38. „Tatort“: „Playback oder die Show geht weiter“: Schlagerstar Heidi Brühl spielt Heidi Brühl, Alexander Hegarth (M.) ihren Manager und Arthur Brauss einen Regisseur. Dazu: Schnaps und Zigaretten Foto: SWR

von Doris Akrap

Tatort“ ist wie Achselschweiß. Er stinkt und man steckt die Nase trotzdem rein. Immer wieder. Obwohl man schon 1.000 Mal dran gerochen hat. Für Leute, die dezentere Duftnoten bevorzugen: „Tatort“ ist wie Chips essen. Einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören. Es schmeckt schon nach drei Handvoll scheiße (auch ohne Barbecue-Aroma) und trotzdem greift man so lange in die Tüte, bis sie leer ist. Auch wenn man schon 1.000 Mal gesagt hat, dass man nie wieder Chips isst.

Seit ich sie kenne, sagt meine Mutter über das Fernsehprogramm: „Das, was die da zeigen, hab ich schon 1.000 Mal gesehen.“ Den „Tatort“ guckt sie trotzdem, seit es ihn gibt. Aber natürlich am liebsten die Folgen, deren Täter- und Opferdarstellung man schon 1.000 Mal gesehen hat. Und das ist die, die sich von den tausendfach gezeigten Phantombildern und Kurzfilmen in „Aktenzeichen XY… ungelöst“ nicht unterscheidet.

Es gibt 1.000 Funfacts über den „Tatort“, von denen einige tatsächlich lustig sind. Der wichtigste Hardfact aber ist, dass es der „Tatort“ bis heute nicht geschafft hat, zum größten deutschen TV-Exportschlager zu werden. Den Rekord hält mit Rechteverkäufen in 100 Ländern und gerade mal 281 Episoden immer noch „Derrick“. 1.000 vorgeschobene Gründe liefern die Verantwortlichen dafür. Aber entscheidend für den Erfolg im Ausland in diesem Fall ist nun mal die Zahl 100 und nicht die Zahl 1.000. Die 1.000-Euro-Frage für den Erfolg im Inland wurde von den Tausenden Profi-, Hobby-, Fan- und Feindkritikern eher selten gestellt: Hat der Erfolg des „Tatorts“ schlicht und ergreifend damit zu tun, dass er seit gefühlten 1.000 Jahren an ein und demselben Ort zu ein und derselben Zeit in ein und demselben Setting (Ausnahmen bestätigen die Regel) läuft?

Erst „Sportschau“, dann „Bericht aus Bonn/Berlin“, dann Lottozahlen, dann „Lindenstraße“, dann „Weltspiegel“, dann „Tagesschau“, dann „Tatort“, dann Talkshow, dann „Tagesthemen“ und zum Abschluss „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“.

Im Zeichen des T

Der Sonntag im deutschen Fernsehen ist schon immer ein Sonntag im Zeichen des T. T wie Tausend. Und daran wird sich wahrscheinlich auch in tausend Jahren nichts ändern. Den rituellen TV-Sonntag gibt es für die meisten schon so lange, wie sie selbst Fernsehen gucken dürfen. Der „Tatort“ ist also Teil von Deutschland. Er ist deutsche Tradition. Man möchte den Pegidisten und AfDlern und anderen Trollen zurufen: Niemand hat die Absicht, euch den „Tatort“ wegzunehmen. Guckt doch einfach weiter „Tatort“. Da ist die Welt noch in tollster Ordnung.

Der Sonntagabend ist die letzte Trutzburg des deutschen Fernsehens, wie es früher einmal war. Eine, die zwischen 18 Uhr und dem Ende des Tages eine Mischunterhaltung bietet, die einen wieder auf den Teppich bringt und einen aus dem Wochenende trudeln lässt ohne großes Tamtam.

Natürlich will immer niemand zugeben, dass er den Sonntagabend wie alle anderen auch verbringt. Keiner guckt „Tatort“, niemand die Talkshow. Drüber reden tun trotzdem alle. Weil sie ja müssen, entschuldigen sich die, die was mit Medien machen. Weil ja sonst nichts in der Kiste läuft, entschuldigen sich die anderen. Nun also die 1.000. Folge. Wird die Enttäuschung so groß sein wie im Jahr 1000? Als sich der Geburtstag Jesu zum 1.000. Mal näherte und der Gute wider Erwarten doch nicht nach Hause zurückkehrte, wie er es einst versprochen hatte? Und als stattdessen Folgendes passierte: die Gemeinden Elspe, Rethmar, Wasenweiler und Vinnen wurden zum ersten Mal urkundlich erwähnt, der neunjährige Sancho III. wurde König von Navarra und Aragon. Island wurde christlich, Dalmatien venezianisch und der Ketzer Leuthard beging Selbstmord.

Natürlich nicht. Denn der „Tatort“ kann gar nicht mehr enttäuschen. Die meisten Leute reden ja nicht über den „Tatort“, weil einer mal besonders gut war. Die meisten Leute reden über den „Tatort“, wenn er besonders schlecht ist. Und da er das in der Regel ist, reden sie eben immer drüber.

Der „Tatort“ funktioniert wie Donald Trump: Hauptsache, die Leute reden drüber.