ERZIEHUNGSANSTALT Gut erzählt ist fast schon spannend genug: Ein früher Roman von Peter Temple wurde nun übersetzt
: Dann und wann eine Frau

Peter Temple gilt als einer der besten Krimiautoren Australiens und ist auch hierzulande kein Unbekannter. Der ehemalige Journalist – und geborene Südafrikaner – begann in den neunziger Jahren, Kriminalromane zu schreiben, wird aber erst seit etwa zehn Jahren ins Deutsche übersetzt. Mit dem Roman „Die Schuld vergangener Tage“ (wieder einmal so ein sinnfreier deutscher Krimititel), der im Englischen ganz anders heißt, bringt die deutsche Dependance des Penguin Verlags nun ein Temple’sches Frühwerk in die hiesigen Buchläden.

„The Iron Rose“ erschien 1995 und weist bereits viele der typischen Qualitäten eines guten Peter-Temple-Romans auf. Dazu gehören ein aufrechter, kantiger Held und die atmosphärisch dichte Schilderung seines natürlichen Habitats: John MacFaraday ist ein ehemaliger Polizist, der nunmehr in einem abgelegenen Haus unweit von Melbourne eine traditionelle Schmiede betreibt. Den Polizeidienst musste er quittieren, nachdem er in einem Einsatz nachlässig gehandelt hatte, was fatale Folgen nach sich zog.

Auch dieser alte Fall wird wieder an die Oberfläche gespült, als sich ganz in Johns Nähe ein merkwürdiger Todesfall ereignet: Sein alter Freund Ned wird erhängt aufgefunden. John glaubt nicht an einen Selbstmord. Bald vermutet er einen Zusammenhang mit Neds Tod und dessen gelegentlicher Tätigkeit in einer Mädchenerziehungsanstalt, die ganz in der Nähe liegt. Als sich herausstellt, dass sich in Melbourne fast zur selben Zeit ein Arzt, der in jenem Heim gearbeitet hatte, Selbstmord nach demselben Muster begangen haben soll, ist offensichtlich, dass ein Zusammenhang zwischen beiden Todesfällen bestehen muss.

Zu den Mankos, die dieses Frühwerk neben seinen erwähnten Qualitäten aber auch aufweist, gehört ein hart ans Unübersichtliche grenzender Figurenreichtum. Zahllose Nebenfiguren springen umher, die teilweise eigens eingeführt werden, damit der Held rein zufällig an ausschlaggebende Informationen gelangt, teilweise für erotische Glanzlichter sorgen sollen. Auftritte verschiedener attraktiver Frauen sind sorgfältig über den Roman verteilt, auch eine ziemlich schlecht geschriebene Sexszene findet sich unmotiviert einmontiert.

Gleichzeitig verschleiert das Überangebot an Szenen mit oft nur einmal auftretenden Nebenfiguren die Tatsache, dass der eigentliche Kriminalplot hinter dieser geradezu barocken Erzählfassade mehr als bescheiden ausfällt. Er ist, genauer gesagt, so hanebüchen gestaltet, dass man schon nach etwa den ersten dreißig Seiten ziemlich gut Bescheid weiß, worauf das Ganze hinauslaufen wird.

Merkwürdigerweise stört dieses Übermaß an durchschaubarer Konstruiertheit beim Lesen wenig. Denn der Autor selbst hat spürbar viel Spaß an den vielen Figuren, die er wie ein Deus ex machina über seine Buchstabenbühne schickt, und verfügt über die unschätzbare Fähigkeit, mit wenigen Strichen echte, interessante Personen dar­aus zu machen. So entsteht ein farbiges, lebendiges Erzählpanoptikum, das nicht so schnell langweilig wird. Ein wohldosierter Actionanteil tut ein Übriges, um für Abwechslung zu sorgen. Insgesamt also solide Krimikost, auch wenn der Autor sich später definitiv noch gesteigert hat.

Katharina Granzin

Peter Temple: „Die Schuld vergangener Tage“. A. d. Englischen von Hans M. Herzog. Penguin, München 2016, 336 Seiten, 10Euro