Auch schon Opfer einer Mieterhöhung am Mehringdamm 51: Berlins letzter Kürschner Werner Klöditz in seinem Arbeitskeller im Jahr 1992 Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Wenn die Felle davonschwimmen

Gewerbe Einst war Kreuzberg der Stadtteil, an dem die Mischung von Wohnen und Arbeiten erfunden wurde. Gearbeitet wird immer noch, aber nur, wenn genug Geld dabei verdient wird. Viele nichtkommerzielle Projekte drohen im Kiez auf der Strecke zu bleiben

Von Uwe Rada

Als ich im Mehringdamm 51 als Gabelstaplerfahrer gearbeitet habe, sah die Kreuzberger Mischung so aus: Im Vorderhaus und im Hinterhaus wurde gewohnt, im zweiten Hinterhof betrieb Werner Klöditz, damals 84 Jahre alt, seine Kürschnerei. In den Höfen dahinter hatte das Kollektiv Rotation, eine Buchauslieferung, bei der ich arbeitete, mehrere Etagen gemietet. Mit meinem Gabelstapler fuhr ich Anfang der Neunziger jeden Tag durch die Höfe zum Mehringdamm, um Paletten auf die Lkws zu laden, die natürlich in zweiter Reihe parkten.

Das mit der zweiten Reihe gibt es heute noch, alles andere hat sich geändert.

Kreuzberger Mischung, das ist bis heute ein städtebauliches Leitmotiv, weil es den Idealzustand der Stadtplaner zu beschreiben scheint: das enge Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, mit kurzen Wegen, viel sozialem Kontakt, gewachsene Nachbarschaft also. Großstadtfilme bedienen das Leitmotiv gerne als Kulisse, wenn sie in Vierteln spielen, in denen junge Menschen im Café sitzen, der Gemüsehändler mit dem Nachbarn schwatzt und ein Lieferant mit der Sackkarre über den Gehweg scheppert.

Ganz falsch ist dieses Bild nicht, denn nach wie vor wird in den Innenstadtquartieren gewohnt und gearbeitet. Nur ist die Arbeit eine andere geworden, weniger Gewerbe und Lärm, mehr Dienstleistungen und damit oft auch mehr finanzielle Möglichkeiten. Nirgendwo sind die Gewerbemieten in Berlin in den vergangenen Jahren so gestiegen wie in Kreuzberg. Und nirgendwo, außer in Mitte, sind Gewerbetreibende bereit, so viel zu zahlen wie zwischen Columbiadamm und Spree. Die Mischung geht mit der Zeit.

Das hat auch seine guten Seiten. Als ich am Mehringdamm mit meinem Gabelstapler die Höfe unsicher machte, wohnte ich in einem Hinterhaus in der Oderberger Straße. Im Vorderhaus gab es ein Klempnergeschäft. Wenn die Kupferrohre morgens um sieben im Hof zu Boden fielen, war die Nachtruhe vorbei. Heute gibt es dort keinen Klempner mehr, sondern eine Boutique mit dem Namen „Das rote Kleid“. Und im Mehringdamm ist auch mein ehemaliges Kollektiv Geschichte. Vielleicht gehören Gabelstapler einfach nicht mehr nach Kreuzberg.

Kreuzberger Mischung, das heißt: das enge Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, mit kurzen Wegen, viel sozialem Kontakt

Aber was gehört dann nach Kreuzberg? Kneipen? Fast Food? Architekturbüros? Ohne produzierendes Gewerbe, meinte der gerade aus dem Amt geschiedene Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers, gehe etwas verloren. Das betrifft auch jene Gewerbetreibenden, die nicht kommerziell arbeiten, wie den Berliner Büchertisch. Das Projekt, das bildungsferne Schüler mit kostenlosen Büchern versorgt, hat ebenfalls am Mehringdamm 51 seine Räume gefunden. Nun soll es raus.

Anders als Wohnungsmieter sind Gewerbetreibende rechtlich nicht geschützt. Was heute noch zur Mischung gehört, regelt der Markt. Zwar wurden in Kreuzberg zuletzt viele neue Gewerberäume geschaffen, meist aber entstehen sie bei Neubauprojekten privater Bauherren. Umso wichtiger sind auch hier die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Gerade den Sozialprojekten und Beratungsstellen, die auf dem Markt nicht mehr bestehen können, bleibt oft kein anderer Ausweg als ein landeseigener Vermieter.

Werner Klöditz, Berlins letzter Kürschner, hat schon 1992 die Segel streichen müssen. Der damalige Eigentümer wollte die Miete von 100 auf 2.500 Mark er­höhen. „Ich bin ja eigentlich ein friedlicher Mensch, hat er damals der taz gesagt, „aber denen sollte man die Köppe abhauen.“

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