Bauen, was geht

Debatte Wo sollen Neuberliner wohnen: in der City, in Großsiedlungen, im Umland? Die Baudirektorin kann sich alles vorstellen

Wäre dies nicht die große Stunde der Baupolitik, der Wohnungsbaugesellschaften und Architekten in Berlin? Rund 100.000 Mietwohnungen fehlen in Berlin. Durch den Zuzug von immer mehr Menschen müssen bis 2030 rund 150.000 neue und vor allem qualitätsvolle und bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Und Zigtausenden Flüchtlingen und ihren Familien mangelt es an dauerhaften Unterkünften: Sie benötigen nach der „Erstunterbringung“ in sogenannten Tempohomes eine neue Heimat, damit die Integration gelingt.

Warum hat sich trotz der dramatischen Lage so wenig Durchgreifendes getan für einen neuen Aufbruch im hiesigen Wohnungsbau, fragte der Berliner Architekt Matthias Sauer­bruch bei einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Making Nachbarschaft. Architektur und Integration“ am Dienstagabend in der Akademie der Künste. Reagiert die Stadt zu passiv, „zu lasch“ auf die Herausforderungen im Wohnungsbau und auf die Bedürfnisse der neuen Bürger, wie Peter Cachola Schmal, Direktor des Architekturmuseums, nachlegte? „Ihr müsst jetzt bauen, es müssen Siedlungen entstehen für einen neuen Massenwohnungsbau“, forderte Schmal in Richtung von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, die neben ihm auf dem Podium saß.

Dass Lüscher nicht die Nase rümpfte, hat überrascht. Schließlich sind Großsiedlungen aus den 1970er Jahren schon lange kein Modell mehr für den Städtebau. Doch auch nach Ansicht der Baudirektorin sei es an der Zeit, dass Architekten und die Baupolitiker es „wieder zulassen, große Siedlungen zu denken und zu planen“. Die Realität erfordere solche Überlegungen.

Streit über Großsiedlungen

Dass dieses Thema dennoch „schwer zu vermitteln“ sei, könne man bei den gerade laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Linken und Grünen beobachten, berichtete Lüscher. Sperrten sich doch dort einige – gemeint waren die Grünen und ihr Nein zum Baugebiet Elisabeth-Aue in Nord-Pankow – schon gegen neue Vorstädte mit nur 5.000 Wohneinheiten.

Nach Meinung der Düsseldorfer Architektin Anne-Julchen Bernhardt sind nicht nur die Architekten, sondern hauptsächlich die Bauverwaltungen dafür verantwortlich, dass die Themen Massenwohnungsbau samt der baulichen Integration verschlafen worden sind. „Klare, intelligente und schnelle Konzepte zur Lösung der Wohnungsfrage“ lägen bis dato nicht auf dem Tisch. Programme – auch Beteiligungsverfahren – dafür zu erarbeiten sei jetzt die zwingende Aufgabe der Politik und der Wohnungsbaugesellschaften. Zugleich müsse darüber nachgedacht werden, wie der neue Wohnungsbau auf den freien Bauflächen aussehen müsse, um Flüchtlinge dort so zu integrieren, dass dies auch funktioniere, betonte Bernhardt.

Gleichwohl Berlin dabei sei, sich dem Wohnungsbau im großen Stil sowie den Unterkünften für Flüchtlinge anzunehmen, werde die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, die Probleme schnell zu lösen, kritisierte der Architekt und Hochschullehrer Stefan Rettich: „Wir kommen mit einer bloßen Innenverdichtung nicht ans Ziel, mit einer Außenentwicklung geht es schneller.“ Rein – oder raus – also nach Brandenburg!

Auch bei diesem Vorstoß rümpfte Lüscher nicht die Nase, sondern legte sogar eine Schippe drauf. Es sei richtig und nötig, dass Berlin mit Potsdam wieder Gespräche über eine „gemeinsame Umlandentwicklung“ führe. Ideen und Planungen für den Wohnungsbau in der Region sollten ausgetauscht werden. Das böse Wort vom Siedlungsbrei fiel dabei nicht. Noch nicht. Rolf Lautenschläger