Am Rand der Welt

TanzSasha Waltz kehrt mit ihrer erfolgreichen Choreografie „Körper“ für vier Tage zurück nach Berlin

„Körper“ von Sasha Waltz, noch an der Schaubühne Foto: Bernd Uhlig

Die elektronische Anzeigentafel, die zum Beginn von Sasha Waltz’ „Körper“ an das Ausschalten der Handys erinnert und einmal von links nach rechts über die Bühne getragen wird, ist natürlich retro. Heute muss man schon einen sehr schicken Einfall haben, um aus dem Handy-Ausschalten einen Act zu machen. Damals, bei der Uraufführung, war es noch Avantgarde.

Als Sasha Waltz’ „Körper“ im Jahr 2000 die neue Berliner Schaubühne eröffnete, war ich gerade im Studium in den Niederlanden. Ich sah das Stück erst Jahre später in Zürich. Dass man es sehen musste, war keine Frage. Die Stimmung, die es umgab, hatte schon bald etwas Ikonografisches, sie zog einen in den Bann, auch lange vor der Sichtung. Die Leporellos zur Aufführung mit dem Körperfries waren ein Must-have.

Worum ging es? Um Körpermagie, natürliche Nacktheit, Fremdheit und Nähe, um das Brachiale von Körper und Raum, um Dissoziation. Vor allem aber darum, den Körper, der immer nur Mittel des Tanzes war, zum Gegenstand zu machen. Dieses Interesse kam hier in der Zeit vor der Jahrtausendwende auf. Meg Stuart, Jérôme Bel und Felix Ruckert etwa arbeiteten in dieser Richtung.

Sasha Waltz, die mit narrativen Milieustücken überaus erfolgreich war, suchte Neuland. Inzwischen, 16 Jahre später, haben Tanzzuschauer*innen ganze Enzyklopädien Nackter auf der Bühne gesehen, jede Körperöffnung wurde schon live untersucht. Das ändert die Perspektive auf „Körper“, wenn dieses meistgetourte Stück von Sasha Waltz nun wieder für vier Tage nach Berlin zurückkehrt, dieses Mal ins Haus der Berliner Festspiele.

Die Vorstellungen sind, wie auch die Wiederaufnahme von „Allee der Kosmonauten“ in den Sophiensælen Mitte Dezember, ausverkauft. Die Stimmung ist festlich, weit und breit keine Protestbanner von Ballettkämper*innen zu sehen. Vor ein paar Wochen noch hatten sie keine Gelegenheit ausgelassen, gegen die Berufung von Waltz ans Berliner Staatsballett ab 2019 zu protestieren. Vielleicht sind ja ein paar inkognito in den Zuschauerreihen. Es lohnt sich, immer noch, auch wenn die Magie von damals einem qualitativen Staunen weichen muss.

Vor allem über die Tän­zer*innen: Diese Leute, die da in der – inzwischen ikonografischen – Vitrine wie in Formaldehyd eingelegt, schwerelose Strömungsbewegungen vollführen, die wie an der Hüfte verkehrt zusammengebaute und nur durch äußersten Bauchmuskeleinsatz zu bewegende siamesische Wesen bilden, die sich wie Bretter zu Boden fallen lassen, sich an der Haut in die Höhe heben lassen wie Katzen, gehören zum großen Teil zum Originalcast. Sie sind jetzt zwischen 40 und 50. Die Tatsache, dass ihre Körper noch nicht verbraucht sind, spricht für die Arbeitsmethode von Waltz.

Auch das komplexe Ineinandergreifen von Raum, Bühne, Licht und Musik ist erhaben. Ein vertikaler Keil im nicht ganz nackten Raum schlägt irgendwann monumental vornüber – nur sehr knapp an einem Tänzer vorbei – und knallt dabei perfekt in den Klangraum von Hans Peter Kuhn hinein, wird dann zur Rampe und letztlich zum Rand der Welt, von dem Menschen in den Abgrund stürzen.

Viele der Szenen stehen für sich, manche laden sich mit anderen Konnotationen auf, auch wenn dieses Stück über die Vermessung des Körpers, wäre es 2016 entstanden, vermutlich noch ganz andere Bilder aufnehmen würde. Nicht nur die Körperstapel, die geschichtliche Erinnerungen wachrufen, sondern auch die Menschentrauben Geflüchteter, nicht nur die Preise für Transplantationen, sondern auch die Möglichkeiten von elektronischen Implantaten und Manipulationen. Sasha Waltz’ Panorama blickt auf einen im Aufbruch begriffenen biologischen Körper, und durch diesen Blick wird klar: Diesen Körper gibt es nicht mehr, auch wenn es ihn noch gibt.

Astrid Kaminski

Wieder am 26./27. November im Haus der Berliner Festspiele