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Dänische Doppelmoral?

WUT Flemming Rose ist der Kopf hinter den Mohammed-Karikaturen von 2005. Jetzt greift er seinen damaligen Verlag an

Flemming Rose, ehemaliger Kulturchef bei der „Jyllands-Posten“, in seinem Büro Foto: Jan Grarup/laif

von Reinhard Wolff

Nach außen wurde das hohe Gut der Meinungsfreiheit gepredigt, während gleichzeitig intern einem Mitarbeiter ein Maulkorb verpasst wurde. Diesem Vorwurf sieht sich Dänemarks führender Medienkonzern JP/Politikens Hus ausgesetzt. Ein Insider hat ausgepackt. Flemming Rose, ehemaliger Kulturchef und zuletzt Auslandsredakteur bei der Tageszeitung Jyllands-Posten, berichtet in seinem Buch „De Besatte“ („Die Besessenen“), was sich im Gefolge der Mohammed-Karikaturen hinter den Kulissen des Verlags abspielte, der sich gern als Leuchtturm der Pressefreiheit präsentiert.

Es war Rose gewesen, der im Spätsommer 2005 bei 42 Zeichnern deren „persönliches Bild des Propheten Mohammed“ bestellt hatte. Am 30. September veröffentlichte Jyllands-Posten dann zwölf Karikaturen unter dem Titel „Die vielen Gesichter des Propheten“. Darunter war eine mit Krummsäbel bewaffnete Prophetenfigur, die zehn verschleierte Frauen im Schlepptau hat, und die Karikatur von Kurt Westergaard, die später am bekanntesten werden sollte: Mohammed mit einer Bombe im Turban.

„Wir wollten damit nicht unnötig provozieren“, rechtfertigte Rose die Veröffentlichung Monate später: „Sondern die uns selbst auferlegten Grenzen dessen aufweichen, was erlaubt sein soll und was nicht.“ Da war die sogenannte Mohammed-Krise, der Karikaturenstreit schon ausgebrochen. Er gipfelte in gewaltsamen Protesten von Nigeria bis Pakistan, bei denen mindestens 139 Menschen starben. In den Redaktionen des JP/Politikens Hus-Konzerns waren die Karikaturen umstritten. Während Jyllands-Posten anderen Blättern, die die Karikaturen nicht nachdruckten, Feigheit vorwarf, weil sich die nicht mit ihr solidarisieren wollten, konterte die im selben Haus verlegte Politiken mit der Frage, ob es den Kollegen denn nicht reiche, was sie mit ihrem „unüberlegten Happening“ angestellt hätten.

Rose lebt ebenso wie der Karikaturist Westergaard seit mehr als zehn Jahren unter ständigem Personenschutz: „Das wird sich wohl auch nicht mehr ändern“, sagt er. Redaktionen und Verlagseinrichtungen des Konzerns, der 2.400 Beschäftigte hat und in dem neben Jyllands-Posten und Politiken die Tageszeitungen Ekstra Bladet und Dagbladet Børsen erscheinen, sahen sich zu rigorosen Sicherheitsmaßnahmen gezwungen. Allein 2010 konnten vier Anschlagsversuche seitens militanter Islamisten teilweise erst in letzter Minute vereitelt werden.

Nach außen war von der Verlagsleitung die Karikaturenveröffentlichung immer verteidigt worden. Doch Rose, der zu Beginn des Jahres Jyllands-Posten nach 16 Jahren verlassen hat, enthüllt nun Interna, über die er selbst ein hartes Urteil fällt: „Wir sind kein bisschen besser als Medien, die in Diktaturen arbeiten.“ Der Konzernführung hätten von ihm verfasste Kolumnen zum Thema Islam und ein Teil seiner öffentlichen Stellungnahmen nicht gepasst. Ihm sei vorgeworfen worden, ein „Fanatiker“ zu sein, und Anfang 2011 habe man ihn vor ein Ultimatum gestellt: keine Kommentare oder Beiträge mehr zu religiösen Fragen allgemein und den Mohammed-Karikaturen im Besonderen und keine Teilnahme mehr an öffentlichen Diskussionen in Radio oder Fernsehen. Rose wurde ein Achtpunktekatalog präsentiert mit der Ansage, dass ein Verstoß das Ende seines Anstellungsverhältnisses bedeuten würde.

Die „Mohammed-Krise“: Proteste von Nigeria bis Pakistan, mindestens 139 Tote

Der damalige Verlags-CEO Jørgen Ejbøl bestätigte nach Erscheinen des Rose-Buchs die von ihm verfasste „Wegleitung“. Und er verteidigt sie: Das Unternehmen habe sich aufgrund der Sicherheitslage in einer „ganz außergewöhnlichen Situation“ befunden: „Sicherheit wiegt immer am schwersten. Menschenleben sind wichtiger als Prinzipien.“ Rose, dessen Sicherheit sich der Verlag fast 20 Millionen Euro habe kosten lassen, denke offenbar nur an seine eigene Person und nicht an die Gesamtheit.

Hier und da trifft Ejbøl mit dieser Meinung auf Verständnis, doch überwiegt die Kritik: Carsten Juste, zwischen 2003 und 2008 Chefredakteur von Jyllands-Posten, spricht von einem „hemmungslosen Übergriff auf die redaktionelle Freiheit“. Allerdings sei er nicht überrascht, er sei zu seiner Zeit ähnlichem Druck ausgesetzt gewesen, „wenn auch nicht so grell“. So sei 2006 der in der Redaktion diskutierte Wiederabdruck der Karikaturen am Jahrestag der Erstveröffentlichung blockiert worden. „Man gaukelt redaktionelle Freiheit vor, aber wenn sich etwas wirklich zuspitzt, wird die zur Illusion.“

Rune Lykkeberg, Chefredakteur der linken Kopenhagener Tageszeitung Information, spricht einem Verlag nicht grundsätzlich das Recht ab, einzugreifen, zumal man nicht bestreiten könne, dass Rose sich zeitweise verrannt habe. Weshalb es auch in Ordnung gewesen sei, ihn 2006 nach seiner Ankündigung, Holocaust-Karikaturen veröffentlichen zu wollen, erst einmal zu beurlauben. Das Problem sei nicht, ob man Grenzen setze, sondern wie und wo. Ein Maulkorb, ein Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit und die Anmaßung unbegrenzter Machtbefugnisse über eine Redaktion sei jedenfalls nicht die richtige Antwort: „Das ist die Rutschbahn hin zu einer Selbstzensur, deren Ende nicht absehbar ist.“

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