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„Es gab eine Zeit, in derich allgegenwärtig war“

Comeback Vermissen würde Phil Collins wenig, wenn er seine alten Heuler nichtmehr singen müsste. Aber die Fans wollen bedient werden. Und Nichtstun tötet

INTERVIEW Dagmar Leischow

Ist das noch der Mann, der früher leichtfüßig durch seine Videos tänzelte? Nein. Nach einer Rückenoperation im vergangenen Jahr muss Phil Collins (65) am Stock gehen. Mit schleppenden Schritten betritt der britische Musiker die Suite eines Hamburger Hotels. Sein Teint ist fahl, seine Schirmmütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Kaum vorstellbar, dass dieser gebrechlich wirkende ältere Herr 2017 wieder auf Tournee gehen will. Am Schlagzeug wird er nicht selbst sitzen, sondern sein 15-jähriger Sohn Nikolas.

taz: Herr Collins, in den 1980er und 1990er Jahren waren Sie in Kritikerkreisen der am meisten gehasste Popstar. Wie haben Sie das damals verarbeitet – und wie erklären Sie es sich heute?

Phil Collins: Damals habe ich mich sehr über diese Häme geärgert. Weil ich einfach nicht verstanden habe, woher sie kam. Aus heutiger Sicht sehe ich das Ganze ein bisschen differenzierter. Es gab eine Zeit, in der ich allgegenwärtig war. Bestimmte Lieder wie „Against all Odds“ oder „Another Day in Paradise“ wurden ständig im Radio gespielt. Man konnte ihnen nicht entkommen. Den Leuten auf der Straße hat das gefallen. Aber eben nicht den Kritikern. Sie waren wohl heilfroh, als ich mich in den Ruhestand verabschiedet habe.

Weil Sie selber genug von Ihrer eigenen Musik hatten?

Ehrlich gesagt würde ich nichts vermissen, wenn ich nie wieder „You can’t hurry Love“ und „A groovy Kind of Love“ singen müsste. Doch das wäre meinen Fans gegenüber unfair. Schließlich geben sie Geld für ihre Konzertkarten aus, weil sie genau diese Lieder hören wollen. Darum werde ich sie ihnen bei meiner nächsten Tournee nicht vorenthalten.

Wieso treten Sie jetzt wieder auf? War Ihnen das Rentnerdasein auf Dauer zu langweilig?

Als ich in den Ruhestand gehen wollte, warnte mich meine älteste Tochter Joely vor diesem Schritt. „Es ist gefährlich, eine Leidenschaft aufzugeben, die man ein Leben lang gepflegt hat“, sagte sie. In der Tat war das Nichtstun nicht gut für mich. Jedenfalls nicht in meiner damaligen Situation. Dass meine Ehe zerbrochen ist, hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Meine Exfrau zog mit unseren beiden Söhnen nach Miami, ich bin alleine in der Schweiz geblieben. Wenn ich meine Kinder sehen wollte, musste ich einen zehnstündigen Flug auf mich nehmen. Mit diesen Umständen bin ich nicht zurechtgekommen.

War das der Auslöser für Ihre Alkoholprobleme?

Auch. Es gab verschiedene Gründe dafür, dass ich immer mehr getrunken habe. Als meine Kinder noch in der Schweiz gewohnt haben, kamen sie jedes zweite Wochenende zu mir. Ich hatte die Aufgabe, sie jeden Tag zur Schule zu fahren und wieder abzuholen. All diese Verpflichtungen fielen weg, nachdem sie in die USA gegangen waren. Plötzlich war mein Leben ziemlich leer. Ich versuchte, diese Leere mit Alkohol zu füllen. Anfangs fand ich gar nichts dabei. Ich schaltete den Fernseher ein, legte die Füße hoch, öffnete eine Flasche Wein oder genehmigte mir ein paar Wodka. Nach dem Motto: Ich, der ich ewig im Arbeitsmodus war, bin es mir selbst schuldig, endlich mal nichts zu tun. Aber mit der Zeit ist die Trinkerei außer Kontrolle geraten. Ich wäre beinahe gestorben.

Jetzt sind Sie trocken. Was erdet Sie?

Ich bin wieder mit meiner dritten Exfrau Orianne Cevey zusammen. Sie und meine Söhne haben mir eine zweite Chance gegeben – ich wohne nun mit ihnen in Miami. Das ist zwar nicht gerade meine Lieblingsstadt, aber ich will dort sein, wo meine Familie ist.

Das war nicht immer so. Ihre Autobiografie „Da kommt noch was – Not dead yet“ vermittelt den Eindruck, dass früher Ihre Karriere für Sie an erster Stelle stand.

Ich habe nicht umsonst den zynischen Satz „Die Musik hat mir alles gegeben, aber auch alles genommen“ zu Papier gebracht. Von klein auf hatte ich das Ziel, Schlagzeug zu spielen, Songs zu schreiben, vor Publikum zu singen. Und zwar nicht nur im Pub in meiner Straße. Wenn ich allerdings heute zurückblicke, muss ich mir eingestehen: Da waren zu viele Shows, zu viele Verpflichtungen. Genesis und meine Solokarriere rangierten stets über allem. Ich habe niemals Nein gesagt. Das war ein Fehler!

Stand Ihnen Ihre Unsicherheit damals im Weg?

Ich glaube, die Wurzel meiner Unsicherheit liegt in meiner Kindheit. Eigentlich habe ich mich für einen glücklichen Jungen gehalten. Bis ich begonnen habe, an meinem Buch zu arbeiten. Auf einmal keimte in mir der Verdacht auf, dass in meiner Jugend vielleicht doch nicht alles so optimal gelaufen ist. Ich bin auf die Welt gekommen, als meine Eltern für die damalige Zeit schon verhältnismäßig alt waren: Meine Mutter war bei meiner Geburt 37, mein Vater 45. Es mag nach Küchenpsychologie klingen, aber irgendwie habe ich mich als Kind wie ein ungebetener Gast gefühlt. Das hat mich wohl zum Bettnässer gemacht – und war der Auslöser für meine Minderwertigkeitskomplexe.

die Sie niemals mit schnellen Autos oder Yachten zu kompensieren versucht haben.

Das war nicht mein Lebensstil. Ich habe höchstens mal im Urlaub mit meiner Familie eine Yacht gechartert. Autos haben mich im Gegensatz zu Eric Clapton, der Ferraris geliebt hat, nicht gereizt. Ich zog es vor, mein Geld für andere Dinge auszugeben. Besonders hat mich die Schlacht von Alamo fasziniert, die während des Texanischen Unabhängigkeitskrieges stattfand. Also begann ich, Alamo-Artefakte zu sammeln. Den Großteil meiner Sammlung habe ich dann dem Alamo-Museum in Texas gespendet.

So ein Hobby ist für einen Popstar eher ungewöhnlich. Überhaupt haben Sie nie so extravagant wie Ihr Genesis-Bandkollege Peter Gabriel gewirkt.

Phil Collins

Philip David Charles Collins wurde am 30. Januar 1951 in London geboren. 1970 kam er als Schlagzeuger zu Genesis. Nachdem Peter Gabriel die Gruppe verlassen hatte, übernahm Collins Mitte der 70er Jahre den Gesangspart. Sein erstes Soloalbum „Face Value“ erschien 1981.

Collins lebt heute mit seiner dritten Exfrau Orianne Cevey und den beiden gemeinsamen Söhnen in Miami. Sein 3-CD-Set „The Singles“ ist kürzlich erschienen, gefolgt von der Autobiografie „Da kommt noch was – Not dead yet“. Vom 14. bis 16. Juni 2017 gibt er drei Konzerte in Köln.

Es hieß oft, ich hätte versucht, Peter aus der Band zu drängen, um seinen Platz als Sänger einnehmen zu können. Das stimmt definitiv nicht! Als ich mich 2014 mit ihm und den anderen Genesis-Mitgliedern getroffen habe, um eine BBC-Dokumentation zu drehen, sagte ich vor laufender Kamera zu Peter: „Ich wollte nie, dass du gehst.“ Leider wurde diese Passage nicht in dem Beitrag verwendet.

Viele Fans haben Genesis in erster Linie als Ihre Gruppe gesehen.

Ein Missverständnis! Der eigentliche Kern waren Peter Gabriel, Mike Rutherford und Tony Banks. Manchmal war die Atmosphäre zwischen ihnen jedoch sehr spannungsgeladen. Auf einmal stürmte Tony aus dem Probenraum, wenig später war Peter weg. Mein Job war es, die Wogen mit Humor wieder zu glätten. Und alle irgendwie in einem Raum zu halten.

Wenn Sie in Ihrem Buch Ihre erste Begegnung mit diesen drei Musikern beschreiben, hat man das Gefühl, Sie wären plötzlich auf einem anderen Planeten gelandet.

So ähnlich hat es sich angefühlt. Ich dachte immer, ich käme aus einer Mittelstandsfamilie. Bis ich zum Vorspielen das Grundstück von Peter Gabriels Eltern betreten hatte. Überall waren Bäume, es gab sogar einen Pool. Dieses Anwesen hatte wirklich nichts mit meinem bescheidenen Elternhaus im Londoner Stadtteil Hounslow gemeinsam. Es machte mich genauso staunen wie diese drei ehemaligen Internatsschüler, die ihre ganz eigene Sprache hatten.

Trotzdem haben Sie den Job als Genesis-Schlagzeuger bekommen. Könnten Sie sich vorstellen, Ihre alte Band wiederzubeleben?

Falls ich wieder so wunderbar wie früher Schlagzeug spielen könnte, würde ich diesem Projekt eine 50-prozentige Chance einräumen. Leider kann ich wegen einer Nervenschädigung in den Händen die Schlagstöcke nicht mehr richtig halten. Abgesehen davon stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage: Würde eine Wiedervereinigung überhaupt Sinn machen? Oder würden bloß noch fünf alte Herren auf der Bühne stehen? Manchmal ist es gut, eine Sache ad acta zu legen – und sich einfach an die guten vergangenen Zeiten zu erinnern.

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