MUSIK

MusikTim Caspar Boehmehört auf den Sound der Stadt

Die erste gute Nachricht: Jazz ist immer noch nicht tot. Er riecht nicht einmal komisch, sondern erfreut sich bester Gesundheit. In Teilen mag er in die Jahre gekommen sein, aber selbst da überrascht er mit der einen oder anderen Großtat. Bestes Beispiel: Der Trompeter und Komponist Wadada Leo Smith. Der im Umfeld der progressiv-intellektuellen Chicagoer Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) sozialisierte Smith mit dem glasklaren Klang ist mit knapp 75 Jahren nicht nur weiter an seinem Instrument aktiv, er läuft seit einiger Zeit sogar regelmäßig zu Höchstform auf. Nach seinen monumentalen „Ten Freedom Summers“ (2012), in denen er die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung musikalisch würdigte, legte er zwei Jahre später seine umfangreichen „Great Lakes Suites“ vor, nach denen er sein Great Lakes Quartet benannte, mit dem er am Donnerstag beim Jazzfest im Haus der Berliner Festspiele (Schaperstr. 24, 19 Uhr, 15–55 €) gastiert. Hochkonzentrierter Avantgardejazz, der mitunter an frei improvisierte Kammermusik denken lässt. Eine weitere Gelegenheit, Smith zu erleben, gibt es am Sonntag, wenn er mit dem Pianisten Alexander Hawkins in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche (Breitscheidplatz, 15 Uhr, 15/10 €) auftritt, mit Hawkins an der Kirchenorgel – in dieser Besetzung eine Weltpremiere. Am selben Abend kann man sich dann, und damit wären wir bei der zweiten guten Nachricht, noch einmal im Haus der Berliner Festspiele vom geöffneten Jazzverständnis des Festivals überzeugen: Das Abschlusskonzert präsentiert einerseits den US-amerikanischen Saxofonisten Steve Lehman, der in seiner Musik die Obertonklänge der französischen Spektralmusik für seine Zwecke nutzt, andererseits gibt sich die US-amerikanische Singer-Songwriterin – und studierte Komponistin – Julia Holter mitsamt einem Streicherensemble die Ehre (Schaperstr. 24, 19 Uhr, 15–55 €).

Und weil inzwischen die kalten dunklen Tage angebrochen sind, ist ein Besuch bei den Meistern des gedrosselten Tempos Bohren & Der Club of Gore am Mittwoch ein fast idealer Beschluss dieser Woche. Einst sagte man Horrorjazz zu ihrem eingetrübt schleppenden Barsound, inzwischen hat sich „Doomjazz“ eingebürgert. Angenehm ungemütlich eben. Ein Special Guest von großem Bekanntheitsgrad und ebenso großer Popularität wird als Draufgabe versprochen (aus diesem Grund wird an dieser Stelle haltlos und auf eigenes Risiko über dessen Identität spekuliert: Nick Cave? Sunn O)))? Barry Manilow?). Wenn dann noch die Passionskirche Kreuzberg als stilvoller Rahmen dazukommt, bleiben eigentlich kaum Ausreden übrig (Marheinekeplatz 1–2, 20 Uhr, 26 €).