Dem Missbrauch auf der Spur

Am Maria-Lenssen-Kolleg in Mönchengladbach lernen angehende ErzieherInnen, welche Gefahren das Internet für Kinder birgt. SchülerInnen sollen zu Multiplikatoren bei der Prävention werden

„Heutzutage haben viele Kinder doch schon Handys mit Filmfunktion“

AUS MÖNCHENGLADBACHLUTZ DEBUS

Horst Pöstkes tippt auf „Enter“. Auf der Leinwand vor der Tafel erscheint ein nacktes Mädchen, abfotografiert aus einer Bravo. Quer über ihrem Körper prangt in dicken Lettern: „Mein Freund hab ich aus dem Internet“. Diese Zeitschrift, erzählt Pöstkes, lesen inzwischen Neunjährige. Für den Kriminalhauptkommissar ist so etwas eine Aufforderung zum sexuellen Missbrauch von Kindern im Cyberspace. Im Klassenraum wird gekichert. Einige angehende ErzieherInnen verstecken sich aber auch hinter ihren Monitoren. Wohl etwas peinlich ist ihnen diese Art von Informatikunterricht.

Eingeladen hat den Kripomann Dirk Nachbarschulte, Informatiklehrer am Maria-Lenssen-Berufskolleg in Mönchengladbach. Horst Pöstkes ist beim Kommissariat für Prävention tätig. Beide, Polizist und Pädagoge, arbeiten schon seit Jahren zusammen, um Jugendliche über die Gefahren des Cyberspace zu informieren. In den Klassen der Fachschule und der Fachoberschule, in denen zukünftige ErzieherInnen und SozialpädagogogInnen unterrichtet werden, glauben sich die beiden an der richtigen Adresse. „Wir suchen Multiplikatoren, die dabei helfen sollen, das Thema Missbrauch vom Endverbraucher fernzuhalten“, so Pöstkes.

Der 59-jährige gesteht den Schülerinnen, dass Bravo auch ihn aufgeklärt habe. Aber bei so einem Aufmacher wie dem gerade präsentierten falle ihm nichts mehr ein. Ein großes Versandhaus habe im neuesten Katalog für vierjährige Mädchen Stringtangas im Angebot. Entsprechende Abbildungen konnte man im Katalog bestaunen. Als eine besorgte Mutter bei der Geschäftsleitung protestierte, habe sie die Antwort bekommen: „Sie müssen das Produkt ja nicht kaufen.“ Pädophilie, so der zuweilen zornige Kommissar, sei durch diese sexualisierte Darstellung von Kindern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Täter seien keine Monster, sondern Durchschnittsbürger.

Die Monitore, die die Schülerinnen im Fachraum vor der Nase haben, bleiben dunkel. Online sollen die jungen Frauen im Alter von 16 Jahren mit diesem Thema zumindest im Unterricht keine Erfahrungen machen. Stattdessen berichtet Pöstkes von seinen Tagen am PC. Schon beim Surfen auf harmlosen Seiten öffneten sich „pop-ups“, ungebetene Werbefenster. „Da gibt es Bildschirm füllende Fleischberge, bei denen man nicht weiß, ob es Gesäß oder Busen ist.“ Die Sprache des Polizisten lässt wieder manche Schülerin kichern, andere erröten. Pöstkes zeigt den Mädchen dann die Gruselkammern pubertierender Jungs. Rotten-dot-com sei der offizielle Geheimtipp der 10-12-jährigen. Auf der Leinwand erscheinen stark verweste, aber auch frisch zerfetzte Körper. Das Publikum im Klassenraum reagiert mit Würgegeräuschen bei der Darstellung von Exhumierten und Enthaupteten. Dazu dann der Kommentar des Kommissars: „Wenn Du als Kind so ein Kotlett siehst, kannst Du bestimmt schlecht schlafen.“ „Kann man so was nicht verbieten?“, fragt eine deutlich geschockte Schülerin.

Dirk Nachbarschulte erklärt in Stichworten das weltweite Netz: Computer auf Südsee-Inseln, unfassbare Datenmengen, immer neue Tricks der Programmierer. Sogar der Volksrepublik China misslinge eine Zensur. Und das solle bei einer Diktatur schon etwas heißen. Auch Nazi-Seiten, so Pöstkes, seien immer gut besucht. „Und von wegen www, weit weit weg.“ Pöstkes zeigt ein Blog, das Internet-Tagebuch eines Neonazis. Da steht: „Heil Dir im Führerkranz, Retter des Vaterlands“. Im Hintergrund erscheint das Münster von Mönchengladbach. Übrigens, statt Hitler habe der junge Mann Hi+ler geschrieben und so alle gängigen Sicherheitsfilter ausgetrickst.

Schnell, so warnt Pöstkes, können sich Jugendliche im Internet auch auf andere Weise strafbar machen. Natürlich ermahnt er die jugendlichen Zuhörer, keine Daten, also Musik oder Spielfilme, illegal aus dem Netz zu laden. Eindringlicher wird er bei dem Delikt Beleidigung. Auf drei privaten Webseiten von Schulklassen wurden in Mönchengladbach Lehrer wie Schüler gemobbt. Lehrer, so Pöstkes, hätten da ja vielleicht noch ein dickes Fell. Aber auf einer Webpage machten sich Jugendliche in einer „Lästerecke“ über die Behinderung einer Mitschülerin lustig. „Da können junge Menschen in den Suizid getrieben werden.“ Eine Schülerin fand sich selbst, oder zumindest ihr Gesicht, in einer Pornoszene im Internet wieder. Ein einfacher Trick digitaler Bildbearbeitung. Aber viele Bilder im Internet, und die zeigt Pöstkes nicht an diesem Vormittag, seien keine Montagen.

In populären Chatrooms wie knuddels.de suchen Pädophile nach Opfern. Wenn man sich als 17-jähriger muskulöser Traumboy ausgebe, komme man schnell an Name und Handynummer eines Mädchens. Durch geschickte Kommunikation könne man seinen Chatpartner schnell unter Druck setzen. „Sexueller Kindesmissbrauch funktioniert im Internet genauso wie im wirklichen Leben.“ Das geschriebene ersetze eben nur das gesprochene Wort. Ein Täter, so zitiert Pöstkes aus einer Ermittlungsakte, habe einer Neunjährigen Nacktfotos von sich geschickt. Dann habe er ihr gedroht, es ihren Eltern mitzuteilen, wenn sie ihm nicht auch solche Bilder von sich zusende.

Zuweilen suchen Jugendliche die Gefahr. Auf der Leinwand wird ein Chat gezeigt. Die Nicknames, die selbst gewählten Spitznamen der jugendlichen TeilnehmerInnen, lassen manche Schülerin erstaunen: „sklavinnicole“, „masturbation12“ „camgirl“. Horst Pöstkes berichtet von Videokonferenzen, in denen sich Männer und Frauen, aber eben auch Jungs und Mädchen, vor laufender Kamera befriedigen. Sein Rat: „Wenn Kinder ins Internet wollen, sollten die Eltern die Webcam wegschließen.“ Ob das die Lösung ist? „Heutzutage haben viele Kinder doch schon Handys mit Filmfunktion“, gibt eine junge Frau zu bedenken. Da ergänzt Pöstkes: „Besser ist es natürlich, Zeit für seine Kinder zu haben.“ Opfer wie Täter hätten oftmals die gleiche Motivation: Einsamkeit.