Pressefreiheit

Der türkische Staat geht gegen das letzte Oppositionsblatt vor. Journalisten von „Cumhuriyet“ sitzen hinter Gittern oder werden gesucht

„Dieses Vorgehen ist nicht tolerabel“

Reaktionen Europaweit sorgen die Festnahmen bei „Cumhuriyet“ für Empörung. EU-Präsident Martin Schulz: „Da ist die Demokratie am Ende“

BERLIN taz | Mit scharfen Worten reagierten am Montag zahlreiche Politiker und Verbände auch außerhalb der Türkei auf die Festnahme weiterer türkischer Journalisten. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), sagte der taz: „Das Vorgehen türkischer Behörden gegen Cumhuriyet und andere kritische Medien ist nicht tolerabel. Wo Pressefreiheit beschnitten wird und Journalisten in Angst leben, da ist die Demokratie am Ende.“

Auch der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, kritisierte das Vorgehen der türkischen Behörden scharf. „Es ist höchst fraglich, ob die Razzia gegen Cumhuriyet als angemessene Maßnahme gerechtfertigt werden kann, selbst unter dem Ausnahmezustand“, sagte Jagland. Er äußerte sich auch besorgt über die Schließung von 15 kurdischen Medien. Die Türkei riskiere eine Flut an Fällen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, wenn der Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli verhängt wurde, zu exzessiv genutzt werde, sagte Jagland. Er verlangte eine sorgfältige Unterscheidung zwischen gewalttätigen oder terroristischen Handlungen und starker Kritik an der Regierung.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin: „Die Bundesregierung hat wiederholt – und das will ich hier auch noch einmal tun – ihrer Sorge Ausdruck gegeben über das Vorgehen gegen Presse in der Türkei und gegen Journalisten in der Türkei.“ Die Bundeskanzlerin sei der Auffassung, dass Pressefreiheit nicht nur aus der Abwesenheit staatlicher Einflussnahme und Zensur bestehe: „Pressefreiheit umfasst auch die Freiheit, Missstände aufdecken und über sie berichten zu können, ohne Nachteile oder gar Gefahren befürchten zu müssen.“

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, sie mache sich große Sorgen um die türkische Demokratie. Die Festnahmen bezeichnete sie als „Teil einer bewussten Aushöhlung des türkischen Rechtsstaats“, die schon seit Monaten in Gang sei..

Zahlreiche Journalistenorga­nisationen meldeten sich am Montag ebenfalls zu Wort. Der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, sagte der taz: „Mit den Maßnahmen will die türkische Regierung ein klares Zeichen setzen: Sie hat kein Interesse an einer freien und unabhängigen Berichterstattung.“ Man merke in allen Gesprächen mit türkischen Kollegen, so Mihr, dass Journalisten inzwischen dreimal überlegten, was sie noch sagen könnten und was nicht.

Der Türkeikorrespondent von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, war wegen angeblicher Propaganda bereits verhaftet worden. Der Prozess gegen ihn beginnt am 8. November. Martin Kaul