Erzählende Drums

Porträt Stilist der Vielfalt: Andrea Belfi changiert zwischen Jazz, Experimentalrock und Techno

Andrea Belfi Foto: Tania Kelly

Er wirkt bedacht, wenn er spricht. Er denkt über das Gesagte nach, hinterfragt das Gefragte. Ob sein Schlagzeugspiel auch dieses ruhige Etwas hat, das von seinem Wesen ausgeht? Andrea Belfi ist einer von unzähligen italienischen Musikern, die in Berlin wohnen. Es hat lange gedauert, den Schritt zu wagen, aus Verona fortzuziehen, sagt er. Der Entschluss fiel 2011 – viele Jahre zuvor war er das erste Mal in der Stadt. Die Szene der Echtzeitmusik Ende der neunziger Jahre zog Belfi an und prägte ihn.

Den Einfluss der Echtzeitmusik, die zur neuen Improvisationsmusik gehört und deren Wegbereiter John Cage war, hört man auf Belfis Soloalben. Auch dass er zwei Jahre lang bildende Künste studiert hat, wird in seinem Schlagzeugspiel deutlich. Es geht auf Rhythmik und Textur ein, was eine Visualisierung des Spielens voraussetzt. Es war aber immer die Musik, die den 37-Jährigen beschäftigte, mehr als die Kunst. Seine Musik­leidenschaft begann mit Punk.

Mit 14 Jahren, als Skater, wollte er unbedingt zur Hardcore-Szene gehören. Als die älteren, cooleren Jungs aus seiner Nachbarschaft einen Schlagzeuger für eine Punkband suchten, behauptete er, das Instrument zu beherrschen. Viele chaotische Proben später, hatte die Band ihr erstes Konzert. Heute blickt er zurück auf mehrere monatelange Tourneen durch die USA und Europa. Am bekanntesten ist Belfis Arbeit für die Band Il Sogno del Marinaio. Noch heute spielt er immer wieder mit dem Experimental-Trio, in der auch der durch die Band Minutemen berühmt gewordene Mike Watt mitspielt. Watt sei laut Belfi ein gigantischer Bassist, aber auch Garant für die besten Aftershow-Partys. Er mag Watts freien Geist.

Belfis Soloalbumdebüt „Natura Morta“, erschienen 2014, wurde von seinem Musikerkollegen Nils Frahm gemastert. Belfi tourte auch als Opening Act auf dessen Konzertreise und übernahm die Percussions in Frahms Band. Wenn man Belfis eigenes Material verstehen möchte, sollte man sich dieses Album anhören. Obwohl auch in den anderen Projekten deutlich wird, dass er als Komponist das große Ganze der Musik betrachtet und durch sein Schlagzeugspiel einen ergänzenden, erzählenden Aspekt einbaut, sticht es heraus. Die elektroartigen, minimalistischen Kompositionen bringen sein narratives Spiel auf den Punkt. Belfi selbst möchte immer einen Mehrwert durch die Drums in die Musik einbauen, sei es im Jazz, sei es in der experimentellen Musik, sei es im Minimalsound. Darin kommen auch Einflüsse von Moondog zum Vorschein – dem US-Straßenmusiker, der mit seinen kontrapunktischen Kompositionen Bach hätte erröten lassen. Trotzdem klingt Moondog heute noch so revolutionär und überzeitlich, dass jede Bestimmung der Musik unmöglich ist – er war einer der Erfinder des Minimal. Belfi baute sich als großer Fan sogar das von Moondog erfundene Percussions-Instrument namens Trimba nach, um mit seinem Projekt der Hobocombo-Band von ihm nachgespielte Musik aufzunehmen.

Im Gespräch mit Belfi merkt man, dass er sich der für den Zuhörer leicht überfordernden Anzahl seiner Projekte und Mitwirkungen sehr bewusst ist. Doch macht gerade diese Vielfalt Belfi als Musiker und Verfechter von Minimal aus. Er betont immer wieder, dass er seinen eigenen Weg finden möchte. Das Soloalbum war erst der Anfang. Ganz am Ende bei der Verabschiedung fällt noch ein Satz, der ihm nur schwer über die Lippen kommt: „Mein Album hat wirklich etwas bewegt für mich. Auf einmal fingen Leute an, mich zu kontaktieren.“

Er wirkt fast schüchtern und fassungslos darüber. Die dabei entstandene EP „Cera Persa“ für das Pariser Techno Label Latency Recordings zeigt, dass Belfi sein Schaffen noch viel zu zurückhaltend kommuniziert. So ist doch sein Stil genreübergreifend interessant, ob auf lokaler Ebene in Berlin oder in einem internationalen Maßstab. Aber auch Belfis Bescheidenheit zeichnet ihn aus und macht ihn zugleich extrem sympathisch. Lorina Speder

Andrea Belfi: „Cera Pelsa“ (Latency Recordings); „Natura Morta (Miasmah); live mit Il Sogno del Marinaio: 24. 10., Monarch, Berlin; 25. 10., Kammerspiele, Leipzig; 26. 10., ­Hafenklang, Hamburg, 27. 10., Gleis 22, Münster; 28. 10., King Georg, Köln