Gereifte Oberflächen

AUSSTELLUNG Das Marcks-Haus zeigt in seiner ersten Ausstellung nach der Renovierung Skulpturen des französischen Bildhauers Vincent Barré

Die Objekte wirken, als wären sie dort zuhause

Die geschnittenen, gegossenen, gebrannten Objekte des französischen Künstlers Vincent Barré wirken in den Räumen des Gerhard-Marcks-Hauses, als wären sie dort zuhause. Als integraler Bestandteil eines dekorativen Konzepts. Weil sie mit ihrem rohen Charme so apart die hehren, hellen, hohen Räume kontrastieren und diese erst richtig zur Wirkung bringen, geradezu neu wahrnehmbar machen.

Prima würden sie auch Edelküchen und Designerwohnzimmer schmücken. Beispielsweise diese „Croc“ betitelten Stahlohren. Kauzig irritierend könnten sie an den Wänden über der Sofalandschaft ihre Wirkung entfalten. Absichtsvoll beiläufig ließen sich Barrés Keramiken als Bodenskulpturen einsetzen. Sie zeigen des Künstlers Lust, 20-Kilo-Blöcke weichen Tons wie einen Pizzateig auszurollen, zu kneten, zu falten, zu formen und mit den Fingern ein Lochmuster hineinzupieksen.

Eine pickelig poröse Oberflächentextur bekommen die nicht figürliche Plastiken beim Brennen im aschestaubigen Glutofen. Sowohl die „Peau“ betitelten Objekte wie auch die „Série noire trouée“ lösen bei Realismus-Freunden leicht figürliche Assoziationen aus, etwa: Muschel, Schneckengehäuse, missgebildeter Glückskeks oder Rollo-Fladen.

Dank der nicht wegpolierten Verweise auf die physischen Arbeits- und technischen Herstellungsprozesse können derweil die Realismus-Feinde mit den Worten der Kuratoren einen „Dialog zwischen abstrakter Kühle und körperlicher Nähe“ genießen. Dank einer perspektivisch verjüngten Modellierung sind die mit heißem Draht aus Plastikquadern geschnittenen, dann in Eisen gegossenen „Quatre anneaux“ gut als Wegmarkierung zwischen Wohn- und Gartenbereich vorstellbar.

Die Oberflächen reiften bereits an der frischen Luft, schimmern nun in Rostrotschattierungen, verziert mit Wasserspuren und Vogelkotklecksen. Barré, Jahrgang 1948, entwickelt traditionsbewusst eine anmutige Kunstsprache, mit der er die massive Materialität aus der Starre und Schwerkraft löst und mit einer in der Form gefundenen Leichtigkeit in den plastischen Ausdruck überführt.

Auf schlichten Anrichten des Marcks-Hauses zeigt der Bildhauer zudem Bronzegüsse von Hand, Fuß, Schenkel, Kopf, Magen, Vulva & Co.

Ein zerstückelter, im Raum verteilter Körper lässt sich vor dem geistigen Auge zusammenaddieren – „wie ein Gebet für ein Glied, ein leidendes Organ, um das Gewebe der Welt zu heilen“, notiert Barré dazu. Insgesamt eine stilvoll dezente Schau, geradezu ideal, um das Bildhauermuseum in seiner frisch renovierten Pracht auf dem Kunstmarkt zurückzumelden. FIS

bis 29. Januar, Gerhard-Marcks-Haus