Bösartige Bilder

Schwarzer Fleck Die Ausstellung „Martin Luther und das Judentum“ in der Steglitzer Matthäus-kirche zeigt den Reformator von seiner dunklen Seite. Das schwierigste Erbe des Protestantismus: Luthers antijüdische Schmähungen

Erst nach dem Holocaust hat die evan­gelische Kirche be­gonnen, sich dem „dunklen Kapitel“ von Luthers Judenfeindschaft zu stellen

Dass Martin Luther nicht nach Berlin kam, sondern es 1530 nur bis ins brandenburgische Belzig schaffte, ist natürlich ein Manko im 2017er Gedenkkalender der Hauptstadt. In den authentischen „Lutherstädten“ Wittenberg oder Eisleben feiert man den 500. Jahrestag des Thesenanschlags von 1517 jeweils am historischen Ort. Das sticht.

Berlin muss sich das Reformationsjubiläum dagegen über einen „Luther-Effekt“, wie die gleichnamige Schau im Deutschen Historischen Museum im kommenden Jahr heißt, per Kirchentag oder auch einem Luther-Denkmal erarbeiten. Das ist schwieriger – und birgt Gefahren in sich.

Diese Distanz zwischen Berlin und dem Reformator versucht die Schau „Martin Luther und das Judentum“, die gerade in der Steglitzer Matthäuskirche Station macht (und 2017 auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin präsentiert wird), zu verkürzen.

Rund ein Drittel der 16 großformatigen Ausstellungstafeln mit Texten, Bildern und Dokumenten widmet sich dem brisanten Thema in Berlin und Brandenburg. Haben doch hier in der Zeit der Aufklärung, im 19. und 20. Jahrhundert die Bezüge, Rezeption und Instrumentalisierung des wohl „schwierigsten Erbes des Protestantismus“ tiefe Spuren hinterlassen, wie Bernd Krebs und Sara Nachama, die Initiatoren der Schau, betonen.

Teuflische Phase

Luthers Schmähungen in seinen drei antijüdischen Hetzschriften von 1543, darunter das Traktat „Von den Juden und ihren Lügen“ mit Aufrufen zur Gewalt und Vertreibung – „Drum immer weg mit ihnen“ –, gehörten bis ins 18. Jahrhundert hinein zum gängigen antijüdischen Kanon der lutherischen Kirchen und ihrer Kunst. Lucas Cranach und eine Vielzahl weiterer Künstler übersetzten Luthers Haltung bildlich in die immer gleichen bösartigen Bilder. Fast angewidert steht man in der Ausstellung vor den vielen Motiven der „Judensau“. Kirchengeschichtlich sei dies die teuflischste Phase des Protestantismus, wie der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann meint.

Erst im späten 18. Jahrhundert und mit dem Bau der Berliner Synagoge, dem preußischen „Eman­zipationsedikt“ von 1812 sowie dem Aufstieg des liberalen Berliner Bürgertums und der jüdischen Emanzipationsbewegungen nahm die religiös motivierte Judenfeindlichkeit ab – nur um nach der Reichsgründung 1871 und durch erfolgreich agierende Pastoren wie Adolf Stoecker als aggressiv nationalistische Ideologie wieder stark aufzublühen.

Gleich in mehreren Kapiteln wird verdeutlicht, wie die brüchige Gleichstellung der deutschen Juden in der Weimarer Zeit von den Nazis exekutiert wurde – auch mit Verweis auf Luther und mit dessen antisemitischer Umdeutung.

Sicher, es gab den protestantischen Widerstand nach Hitlers Machtantritt. Mehrheitlich „jedoch versagte die protestantische Kirche“, resümieren die Kuratoren im Katalog. Schon das Lutherjahr 1933 feierten das NS-Regime und die protestantischen Kirchenoberen in Berlin gemeinsam. 1938, nach den Novemberpogromen, beteiligten sich hohe Kirchenfunktionäre wie Hans Preuß an der Hetze, die zu Verfolgung und Deportation führte. „Luther fordert Synagogenbrand!“, titelte etwa die Monatsschrift Die Nationalkirche. Der jüdisch-protestantische Dialog war beendet.

Erst nach dem Holocaust haben die evangelischen Kirchen begonnen, sich dem „dunklen Kapitel von Luthers Judenfeindschaft zu stellen“, resümiert Krebs. 1950 kam es auf der EKD-Synode im Berliner Bezirk Weißensee zum ersten Schuldbekenntnis – quasi die Initialzündung für die Schritte zu Verständigung und kirchengeschichtlicher Aufarbeitung.

In einer Parallelmontage historischer Texte und Bilder lotet der andere Teil der Ausstellung das christlich-jüdische Verhältnis von Moses bis heute aus. Das ist ein zu großer Anspruch, und die Schau kommt dabei etwas vom Kurs ab. Bis 1523 hatte sich Luther wohlwollend über seine jüdischen Mitbürger geäußert. Woher seine Antipathie 1543 plötzlich kam – der Reformator soll sauer gewesen sein, weil die Juden sich seiner Theologie widersetzten –, wird zu wenig geklärt und zu allgemein im mittelalterlichen Zeitgeist verortet. Dies und anderes lässt Fragen unbeantwortet. Diese Leerstellen in der Aufarbeitung könnten Aufgabe einer neuen Ökumene werden. Rolf Lautenschläger

„Martin Luther und das Judentum“, bis 31. 10. in der Steglitzer Matthäuskirche, Schloßstr. 44, 11–15 Uhr, Katalog 15 Euro