Beim Chef Auf das Sie zu verzichten, ist nicht immer eine gute Idee. Manchmal soll das Du die Untergebenen in eine Vertrautheit kuscheln, die ihnen schaden kann
: Freundliches Geduze

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Über das Verhältnis von Chefs zu ihren Angestellten kenne ich einige Geschichten. Natürlich gibt es im Leben oben und unten, irgendwie auch nebeneinander. Der Firmenchef kann ein sozialer Trottel sein, mit dem kein Angestellter gern in die Kneipe gehen würde, weil er in der Kneipenhie­rarchie ganz unten stände. Die Welt ist ja voller Hierarchien, die sich überkreuzen können. Aber nur in den Hierarchien der Arbeitswelt wird sich gesiezt.

Es soll sich gesiezt werden oder auch ausdrücklich nicht. In manchen Firmen sollen sich Angestellte mit dem Chef ganz vertraut fühlen, sollen alle Angestellten eine Familie sein, oder sich so fühlen, durch ein freundliches Geduze. In Hamburg ist man davon weniger angetan. Laut einer aktuellen Umfrage der Marktforschung Nürnberg ist Hamburg nun offiziell die deutsche Stadt, in der das Duzen des Chefs am meisten abgelehnt wird.

Ich kenne jemanden, in dessen Firma ausschließlich geduzt wird. Es funktioniert nur bedingt. Aber das Duzen als etwas Äußeres entspricht den außergewöhnlich flachen Hierarchien im Inneren dieser Firma, die mit sehr viel pädagogischem Aufwand gehegt werden müssen.

Gewöhnlich duzt man im Arbeitsleben den Kollegen, mit dem man täglich zu tun hat. Man erzählt sich von den Kindern, der Blasenentzündung, der Oma und dem Pferd, es ergibt sich einfach so. Es ist ein menschliches Bedürfnis, sich mitzuteilen und es trägt zu einem geschmeidigen Umgang bei. Wenn ich weiß, dass das Kind der Kollegin seit drei Tagen nachts weint, dann bin ich eher bereit, einen Fehler, den sie macht, zu verzeihen.

Ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass es unabdingbar ist, einige private Details von sich preiszugeben, um auf diesem Wege akzeptiert und in einem Arbeitskreis aufgenommen zu werden, was notwendig ist, um ineinandergreifend und verzahnt zu arbeiten.

Vertrauen wird honoriert. Man ist in der Regel auf die Nachsicht oder Aufmerksamkeit anderer Kollegen angewiesen. Ein Chef lässt sich bei der Betriebsweihnachtsfeier vielleicht auch gern mal was vom Urlaub erzählen.

Und ein Chef steht freilich als Bürger in seiner Mündigkeit auf derselben Stufe wie ein Angestellter, aber innerhalb der Firma hat er eine andere Macht, er kann abmahnen, loben und kann entlassen. Wenn ich als Angestellter also ein seit drei Tagen nachts schreiendes Kleinkind habe, das mich in den Wahnsinn und in die Fehler treibt, dann muss ich mir überlegen, ob ich dies meinem Chef erzähle, weil mein Chef aus diesem Wissen für mich negative Schlüsse ziehen könnte.

Er könnte mich als jemand nicht so leistungsfähig abspeichern, der jammert und klagt, obwohl es doch sein privates Vergnügen ist, ein Baby in die Welt zu setzen, unter dem die Firma nicht zu leiden haben sollte. Wenn ich diesen Chef also freundlich duze und wenn er mich freundlich duzt, wenn wir kameradschaftlich über mein Baby reden, während er im Interesse der Firma über meine mögliche Entfernung aus jener grübelt, begehe ich da nicht einen Fehler?

Soll das Duzen des Chefs den Untergebenen in eine Vertrautheit einkuscheln, die ihm zu seinem Nachteil gereichen kann? Verdient der Chef nicht auch deshalb mehr als ich, weil er im Zweifel die Interessen der Firma gegenüber mir vertritt und nicht umgekehrt? Ist es nicht besser, die Hierarchien auch äußerlich und zu meinem Schutz im Bewusstsein zu halten?

Ich kenne übrigens auch eine Geschichte, wo ein Chef eine Angestellte als Liebste hatte, und da war das mit dem Duzen also ganz natürlich, aber später dann, als sie das nicht mehr war, da war diese Anredesituation ihr so unerträglich, dass sie gekündigt hat. Das zeigt vielleicht am besten, was Duzen und Siezen immer noch bedeutet.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.