Sind Benefizgalas zynisch?

CHARITY In den Wochen vor Weihnachten wird eine Gala nach der anderen gefeiert – für den guten Zweck und gegen Hunger, Armut, Aids oder Krebs. Spitzenköche kochen, Stars und Sternchen singen. Für mehrere hundert Euro Eintritt.

Ja

Michael Graeter, 68, ist Deutschlands bekanntester Star-Klatschkolumnist

Benefizgalas in Deutschland sind glatter Betrug. Die prominenten Herrschaften, die solche Events ausrichten, leben doch eigentlich vom Benefizgeschäft und spenden selbst gar nichts. Es ist in erster Linie Wohltat in eigener Sache. Von was würden die Veranstalter auch leben, wenn ihre Bälle nicht mehr stattfänden.

Ganz anders ist es in den USA. Wenn dort Denise Rich oder Prinzessin Yasmin Aga Khan eine Benefizveranstaltung ausrichten, dann übernehmen sie sogar die Kosten für die Organisation und die Gagen der Künstler, oder die Honorare werden gespendet. Jeder muss für seinen Eintritt zahlen, selbst der Präsident der Vereinigten Staaten. Für die Arbeit ihrer Soirees verlangen die Ladys natürlich keinen Cent.

In meinen vierzig Jahren als Reporter war ich nur ganz selten in Deutschland auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung, allerdings auch auf der sogenannten Ohoven-Gala in Neuss.

Auf dieser Veranstaltung wurden meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Zu solchen schillernden Festen gehe ich heute nicht mehr. Die eitle, zuweilen brutale Selbstdarstellung auf Kosten Schwacher und Notleidender kann ich nicht ertragen. Es ist grotesk, mit Klunkern und im Chanel-Kleid Hungernde in der Dritten Welt zu besuchen, ein Kamerateam im Schlepptau.

Hanna Poddig, 24, ist Globalisierungskritikerin und Autorin („Radikal mutig“)

Der Zynismus von Benefizgalas liegt nicht primär in der Tatsache, dass die Angehörigen der gesellschaftlichen Eliten dort hingehen, um mit Champagner in der Hand auf dem roten Teppich gesehen zu werden. Auch nicht darin, dass sie sicherlich mehr Geld in ihre Abendgarderobe investieren, als sie am Ende für einen „guten Zweck“ spenden.

Der größte Zynismus in meinen Augen ist, dass die Ursachen der globalen Probleme verkannt oder geleugnet werden. Das eigentliche Problem besteht darin, dass die bestehende Gesellschaftsordnung von unten nach oben umverteilt und somit ein Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich verschärft. Benefizgalas sind ein Ort, wo jene Elite, die ein Interesse am Erhalt dieser Strukturen hat, sich damit schmückt, diese Probleme zu sehen und vermeintlich zu bekämpfen.

Es kommen auf diesen Galas nur Menschen zusammen, die ein Leben führen, das so nur durch die Ausbeutung von Natur und Menschen möglich ist. Die Probleme werden in ihrer Dramatik ausgeblendet, und eine Auseinandersetzung damit kann vollkommen unterbleiben, da alle anderen Menschen von der Security am Eingang ferngehalten werden.

Stefan Hoffmann, 25, studiert Soziologie und stellte seinen Beitrag auf taz.de

Benefizgalas sind Veranstaltungen, die nur den Zweck haben, die Armut anderer Menschen für Unterhaltung und Imagepflege auszunutzen. Ohne Armut gäbe es keine Veranstaltungen dieser Art, und wenn sie wirklich etwas bringen würden, würden sie sich ja selbst irgendwann das Wasser abgraben.

Diese Galas sind in Wirklichkeit nur Showeinlagen, mit denen ein positives Image aufgebaut werden soll. Die dort stattfindenden Sammel- oder Spendenaktionen stehen nur für das leichtgläubige Publikum augenscheinlich im Vordergrund. Den Hauptakt bildet dabei vielmehr das Zusammenkommen von ausgelassen feiernden Partylöwen, exquisiten Luxusspeisen und einer nach Aufmerksamkeit schreienden – oft weiblichen – Klientel. Deren gemeinsames Ziel liegt offenbar darin, die Unterhaltungsmaschinerie weiter anzufüttern, und die diversen Hilfsaktionen dienen dabei als Legitimationsgrund.

Helfen tun sie vor allem diversen Promis, sich zu präsentieren. Oder glaubt auch nur irgendjemand, dass man zu diese Veranstaltungen die eigentlich Betroffenen einladen würde? Eine Benefizgala für Minenopfer, deren Bild von Amputierten gesäumt wird, dürfte sich wohl schwer in der exklusiven Unterhaltungslandschaft vermarkten lassen.

Nein

Bärbel Dieckmann, 60, ist Welthungerhilfe-Chefin und Oberbürgermeisterin von Bonn

Benefizgalas sind nicht zynisch, wenn der Benefiz im Mittelpunkt der Veranstaltung steht und nicht die Gala. Das ehrliche Engagement für Menschen in Notsituationen ist immer zu begrüßen. Solche Galas dienen auch der Unterhaltung, aber die Form muss dementsprechend angemessen sein.

Die zentrale Frage dabei ist: Was bringt eine solche Gala am Ende denjenigen Menschen, für die sie gedacht ist? Ist der Glamour Selbstzweck oder nur ein Mittel zum Zweck, nämlich dass der Glanz und die Prominenz auch solche Menschen anzieht, die sich ansonsten gar nicht für den guten Zweck interessieren würden? Deshalb kann die Frage nicht einfach pauschal beantwortet werden. Grundsätzlich aber sind solche Benefizsendungen, vor allem im Fernsehen, eine einzigartige Möglichkeit, Millionen Menschen anzusprechen, sie zu interessieren und zu motivieren.

Und ja, Unterhaltung muss auch sein. Denn nicht nur Mitleid motiviert zu Spenden, sondern auch Freude. Nicht negative Gefühle, sondern auch positive Emotionen. Ideal ist, wenn sich beides verbindet: Freude am Helfen und Freude am Leben, die man mit Menschen in Not teilen möchte.

Annelie Buntenbach, 54, ist Grünen-Politikerin und im Vorstand des DGB

Natürlich hat es etwas Obszönes, wenn Stars und Millionäre mit Kaviar geködert werden müssen, um sich gegen den Hunger in der Welt zu engagieren. Ebenso befremdlich mutet es an, wenn glamouröse Benefizgalas im Zeichen von Tod, Leid und Elend stattfinden. Sie können leicht den Eindruck billiger PR-Veranstaltungen vermitteln. Es besteht die Gefahr, dass die Ernsthaftigkeit des Anliegens schnell der Leichtigkeit des Champagners weicht.

Zynisch würde ich solche Benefizgalas aber trotzdem nicht nennen. Guter Wille kann zwar nicht gute Politik ersetzen, aber immerhin bringen Prominente ungelöste Probleme in das öffentliche Bewusstsein und werben für eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung. Dabei wirkt aber manche Form einer solchen Werbung sicher abstoßend.

Ganz anders sind öffentliche Spendengalas, auch wenn Betroffenheitsfernsehen manchmal nervt: Die Tatsache, dass und wie viel die Menschen freiwillig von ihrem Sofa aus bei Bier und Chips für einen guten Zweck spenden, sollte so manchem Prominenten, der meint, er brauchte dafür einen roten Teppich und Blitzlichtgewitter, zu Demut gereichen.

Es gibt schließlich unabhängig von Öffentlichkeit viele Möglichkeiten, Gutes zu tun – und dies nicht nur im Advent.

Gerald Schleiwies, 36, ist Bibliothekar und stellte seinen Beitrag auf taz.de

In meinen Augen sind Benefizgalas nicht zynisch. Stattdessen sind sie lediglich Ausdruck dessen, was heutzutage geleistet werden muss, damit in dieser „Event Society“-Gesellschaft eine Botschaft überhaupt noch ankommt – also ein Mittel zum Zweck.

Leider fragt man aber dabei nicht, ob die Eingeladenen eigentlich wissen, was Sie da unterstützen. Man fragt stattdessen eher, ob dieser B-Promi auf jenen A-Promi treffen möchte und ob der Fummel zum Teppichboden passt. Bei der Unesco-Show am vergangenen Wochenende ging es in einem WDR-Bericht um Schuhe, Kleidung und dass man kommt, weil der andere auch kommt – eigentlich egal, wenn man dieser publicitygeilen Zielgruppe damit auch das Geld aus den Taschen leiern kann. Denn man schaue: Es sind immer die Gleichen!

Dass mir die leisen Projekte lieber sind und dass die stillen Stars oft sehr viel mehr geben als nur Geld, steht hier auf einem ganz anderen Blatt. Die einen spenden aus Überzeugung, die anderen geben „Eintrittsgeld“, um in ihrer Gesellschaft gesehen zu werden und um zu zeigen, wie gut man doch ist. Das Essen als kleinsten gemeinsamen Nenner kann man ruhig vernächlässigen, sind doch eh alle immer auf Diät.