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Kolumne Ausgehen und RumstehenKeine Zeit für Dystopien

Während in einer Galerie über die Zukunft diskutiert wird, wird sie auf dem „3hd“-Festival live erprobt. Im Club sind dann alle in der Gegenwart vereint.

Kann Clubmusik Protest ausdrücken? Taz-Kolumnistin Yaghoobifarah, US-Produzent Lotic und Techno-Musikerin AGF diskutieren Foto: Eva Pedroza/3hd Festival

An dem Tag, an dem ein alter murmelnder Musiker einen hoch dotierten Nostalgiepreis bekommt, denken einige Verrückte in der überfüllten Galerie des Spike-Magazins über die Zukunft nach: Wann immer etwas Neues entsteht, wird versucht, es anhand von Kriterien zu verstehen, die wir bereits kennen. Es wird zu einer Art Hybrid aus bekannten Elementen – und bleibt damit in alten Kategorien gefangen. Neue Begriffe sind notwendig, mit denen das Neue seinen Platz in der Welt findet.

„The New Normal“ nennt Benjamin Bratton sein Konzept für eine exaktere Beschreibung der neuen Realitätsschichten und Souveränitäten, die ja längst nicht mehr nur staatlich, sondern auch von Google und Facebook produziert werden. Um die Welt besser zu verstehen, muss sie neu kartiert werden, sagt der in San Diego lehrende Professor für Designtheorie und sonnt sich im Neonlicht des White Room.

In der Diskussion beruhigt er diabolisch lächelnd eine junge Frau, die besorgt ist, dass die Forschung an künstlicher Intelligenz in die Hände böser Mächte geraten könnte. Ja, das sei durchaus möglich. Aber, so Brattons, an Kritischer Theorie geschulter Punchline: Die Erfindung einer neuen Technologie produziert zugleich immer einen Unfall.

Wie klingt Protestmusik?

Man könnte annehmen, das neue heiße Diskursding aus Kalifornien ist ein Theoriehype. Aber in Zeiten, in denen sehr viele die Welt am liebsten in Ruinen sehen würden, ist die Veranstaltung doch eher Zeichen dafür, dass die Generation X aka Y aka Brexit eigentlich ziemlich politisch ist und Wege sucht, sich nicht mehr von den Klagegesängen des Establishments sedieren zu lassen. Den meisten, selbst denen, deren Hemdkrägen sich anbiedernd über Wollpullunder legen, ist anzusehen, dass sie etwas bewegen wollen. Was am besten funktioniert, wenn man die Welt besser versteht.

Auch auf das Panel „Sound of Protest“ des „3hd“-Festivals am Freitag in der „Vierten Welt“ sind Viele gekommen, die etwas wissen wollen – über sich, die Welt, und wie man sie verändern könnte. Mit dem Unterschied, dass Brattons Konzept hier nur bedingt passt. Weil Musik ja nie normal ist und sich festen Kategorien entzieht.

„Ambiguität ist ihre größte Stärke“, sagt der Musikkritiker Adam Harper und spielt den, im Gegensatz zum enthusiastisch-interaktiven Publikum in Mitte, eher nihilistisch wirkenden Menschen einen Track von Elysa Crampton vor, in dem ein unheimliches Lach-Sample verwendet wird. Lachen, so Harper, sei so ambivalent wie Musik. Es kann Ausdruck von Euphorie, aber auch von Schadenfreude oder Verzweiflung sein. Eigentlich hat Harper genug von musikalischen Dystopien, sei doch die Wirklichkeit apokalyptisch genug.

Get fucked up

Auf der „3hd“-Aftershowparty im Ohm am Samstag will dann niemand mehr etwas wissen. Alle wollen nur noch tanzen. Endlich darf auch der Körper denken. Erschütternde Bässe treffen auf überdreht-schnelle Breakbeats, als gäbe es keine Zeit zu verlieren, während Vocalsamples atemlos auf jede Zählzeit Dringlichkeiten vorschlagen wie: „get fucked up“ oder „shake it fast“. Als dann die New Yorkerin Uniiqu3 mit ihren unerwarteten Tempiwechseln die angenehm diverse Crowd in geschlechtslose Maschinen verwandelt, habe ich kurz das Gefühl, ihn zu hören, den Sound des Protests.

Nicht, weil sie wie die schönen, aber verbrauchten Songs des alten Mannes im Anzug Außenseiter-Storys erzählen, nein, weil sie es schafft, Menschen mit unterschiedlichen Interessen, aber gleichen Visionen zusammenzubringen. Es ist dieses Gemeinschaftsgefühl, eine „neue multiethnische und multilokale Normalität“ jenseits von Sprache und Nation, das wir benötigen, um diese xenophobe Gesellschaft zu überwinden. Und das hier ist der perfekte Ort für dessen Erprobung.

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