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der rote faden Untenrum ist wichtig, aber obenrum frei zu sein, ist schwer

nächste wochemeike laaff Foto: Sebastian Wagner

durch die woche mit

Nina Apin

Prahlerei

Kostet seine offen zur Schau getragene Frauenverachtung Donald Trump jetzt die Aussicht aufs Präsidentenamt? Es wäre ihm (aus vielen Gründen) zu wünschen. Jetzt, nachdem bekannt wurde, dass der Präsidentschaftskandidat der Republikaner Frauen auch gern mal „an der Muschi packt“ – einfach weil er sich das als Prominenter glaubt leisten zu können –, haben auch die USA ihre Aufschrei-Debatte.

Unter dem Hashtag #notokay posten Frauen jetzt zu Tausenden ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. „Ich saß hier zwanzig Minuten lang und durchforstete mein Gedächtnis nach dem allerersten Übergriff. Da war ich fünf“, schreibt eine. Eine andere: „Ich kann mich noch nicht mal an den ersten erinnern, nur an den schlimmsten.“

Wut

Noch schlimmer ist, dass Trump seine vulgäre Prahlerei zum Verhängnis wurde, weil man so etwas nicht macht – die eigentlichen Übergriffe aber jahrzehntelang niemanden interessierten. Vier Frauen, darunter eine Reporterin der New York Times, haben jetzt schwere Vorwürfe gegen Trump erhoben: Er habe sie im Flugzeug befummelt, im Aufzug begrapscht, am Arbeitsplatz erniedrigt. Bisher gehörte das alles wohl zu seinem Lebemann-Image. Und jetzt? Ist Trump bald weg vom Fenster und Amerika diskutiert offen über sexuelle Gewalt? „Endlich“, wie viele deutsche KommentatorInnen etwas gönnerhaft schrieben – weil wir hier in Deutschland ja unsere #Aufschrei-Debatte schon hinter uns haben.

Ist bei uns jetzt untenrum alles okay? Dagegen spricht doch einiges. Zum Beispiel, dass der weitaus kämpferischere, mit feministischen Forderungen verknüpfte Hashtag #pussygrabsback bei uns kaum Beachtung findet, weil alle mehr auf die Leidensgeschichten abfahren. Wut ist halt immer gleich so anstrengend.

Scheiß

Dass es auch in Berlin 2016 noch viel Gesprächs- und Beratungsbedarf gibt, zeigte eindrucksvoll die Lesung von Margarete Stokowski am Mittwoch im taz Café. Ihr neues Buch vertritt die schlichte, aber bestechende These, dass „untenrum frei“ nur sein kann, wer sich zuerst obenrum frei gemacht hat, also: Das Hirn von dem befreit hat, wie Männer und Frauen zu sein haben, was sie (nicht) dürfen, sollen oder sagen sollen. Stokowski sagt, es sei wichtig, erst mal über den „eigenen Scheiß“ zu sprechen. Und fing damit gleich selbst an. Als sie erzählte, wie sie ihr Lehrer nach der Schule mit dem Auto in den Wald fuhr und vergewaltigte, war es still im Saal. Und die Erleichterung darüber, dass Stokowski gleich darauf einen dreckigen Witz machte, groß.

Plenum

„Der Scheiß verwandelt dich. Hege ihn“, zitiert Stokowski in ihrem Buch die russische Pussy- Riot-Aktivistin Nadja Tolokonnikowa, die nach zwei Jahren Arbeitslager inklusive Folter nicht aufhört, sich öffentlich zu exponieren. Stokowskis wichtigster Punkt ist, dass der Erfahrungsaustausch unter Betroffenen nur der erste Schritt sein kann. Der zweite muss das politische Handeln, die Überwindung bestehenden Unrechts, die Befreiung aller sein. Mit einem Wort: Feminismus. Dass sich das so viele, Männer wie Frauen, Junge wie Alte, Queere wie Straighte, anhören wollten, zeigt, wie vielen unwohl ist mit dem Gender-Status-quo.

Was aber sollst du tun, wenn du dich in jahrelanger Arbeit von überkommenen Geschlechterrollen befreit zu haben glaubst, dich in Plenen und Basisgruppen für eine herrschaftskritische linke Praxis engagierst – und dann nachts am Tresen stehst und befummelt wirst? Klar: Dem Typen eine scheuern, dafür sorgen, dass er rausgeworfen wird. Aber was, wenn der Typ ein Refugee aus Syrien ist, schwer traumatisiert von Krieg und Flucht – und du und deine Freunde ihn ein­geladen habt, mit euch zu feiern? Versuchst du dann statt einer Ohrfeige den Dialog? ­Erzählst du den Vorfall überhaupt im nächsten Plenum? Und wie reagieren dann die anderen?

Das Dilemma von Linken, die merken, dass auch ihre Solidarität Grenzen hat, obwohl sie doch gegen Grenzen sind, zeigte sich in dem offenen Brief, in dem das linke Leipziger Kulturzentrum Conne Island seine Öffnung für Geflüchtete für gescheitert erklärte. Jetzt ist ihnen der Spott von rechter und der Rassismus-Vorwurf von linker Seite sicher. Kriegt jetzt auch die linke Szene ihre #notokay-Debatte? Von wegen: Den VerfassserInnen des offenen Briefes wird „Alice-Schwarzer-Feminismus“ vorgeworfen und Pauschalverdächtigung von Geflüchteten. Eine Frau sagte der taz, sie habe nichts gegen „ihren“ Grapscher unternommen – weil sie ihm den Abend nicht versauen wollte. Vielleicht wäre es Zeit für einen neuen Hashtag: #links­oben­frei.

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