Keine Not macht auch erfinderisch

Die Kritik des Landeskonservators Uwe Mainzer am Weltkulturerbe Zeche Zollverein stößt auf Unverständnis: Weder die Stadtverwaltung noch Kulturschaffende verstehen, was der Denkmalpfleger mit seinem Alleingang sagen wollte

ESSEN taz ■ Als Landeskonservator Uwe Mainzer am Donnerstag vor die Presse trat, sprach er von einer „Notbremse“, die er ziehen wolle. Und wenn man davon ausgeht, dass eine Notbremse urplötzlich und unerwartet gezogen wird, lässt sich Mainzers Auftritt durchaus mit dem Griff zur Notbremse vergleichen. Nur nach der Not wird immer noch verzweifelt gesucht.

Bei der Stadt Essen hörte man im Radio von Mainzers Kritik am Umgang mit dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein und den umliegenden Siedlungen (taz berichtete). „Rummelplatzcharakter“ und „überbordende Eventkultur“ prangerte der Chef des Rheinischen Amts für Denkmalpflege unter anderem an. Ein Alleingang scheint es gewesen zu sein. Informiert war offenbar niemand: weder bei der Stadt, noch auf Zollverein. Und verstehen kann die Kritik auch keiner: „Man muss ja mal die Kirche im Dorf lassen“, sagt Essens Stadtsprecher Detlef Feige. Die Art und Weise wie Mainzer Kritik geübt habe, sei nicht glücklich gewesen. „Denkmalschützern wäre es lieb, man würde einen Glaskasten um Zollverein errichten, damit alles bleibt wie es ist“, glaubt Feige. Vor vier Jahren wurde die Zeche von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Einen möglichen Verlust des hochbegehrten Titels, wie ihn Mainzer orakelt hatte, sieht der Stadtsprecher nicht.

Zollverein ist seit Jahren nicht nur Denkmal und für sich stehende Sehenswürdigkeit, sondern Spielstätte für Theater-Produktionen, Heimstatt etlicher Künstler und künftig auch Standort des neuen Ruhrmuseums. Für Gabriele Heidner von der Entwicklungsgesellschaft Zollverein (EGZ) sind solcherlei Attraktionen ein zusätzlicher Anreiz: „Wir wollen die Leute ja hier her locken“, sagt Heidner. Als gutes Beispiel nennt sie die „Extraschicht“, die lange Nacht der Industriekultur: 17.000 Menschen spazierten im Juni über das weitläufige Areal, nahmen an Führungen teil, sahen imposante Video-Projektionen. So würden die Menschen auf die Zeche aufmerksam gemacht und kämen vielleicht ein anderes Mal wieder, sagt Heidner.

Verantwortet wird die Extraschicht von der Ruhrgebiet Tourismus. Deren Chef Dieter Nellen hält Mainzers Sicht für „arg akademisch“. Es sei immer darauf geachtet worden, dass es auf Zollverein nicht zu einer Banalisierung komme. „Da ist kein Rummelplatz“, sagt Nellen. Und bringt noch ein Beispiel: die Ruhrtriennale. Das Theaterfestival gastierte unlängst mit der gefeierten Produktion „Nächte unter Tage“ von Andrea Breth und Christian Boltanski in der Kokerei auf Zollverein. Hochwertiger könne man diesen Schauplatz nicht bespielen, sagt Nellen, für den solche Projekte von enormer Bedeutung sind: Durch die Bespielung habe man die Wahrnehmung der Zeche doch erst hergestellt, so Nellen: „Aus sich selbst heraus hätte Zollverein das nicht geschafft.“ BORIS R. ROSENKRANZ