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Die Enthüller

Presserecht Die türkische „Cumhuriyet“ macht kritischen Journalismus

ISTANBUL taz | Das hätten sich die Journalistinnen und Journalisten von Cumhuriyet vor ein paar Jahren wohl nicht träumen lassen, dass sie einmal für ihre Arbeit mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet werden würden. Denn da galt das Blatt noch als Sprachrohr der Traditionskemalisten, war in den Augen der westlich orientierten, liberalen Intelligenz der Türkei also eher eine Zeitung der Ewiggestrigen. Das hat sich allerdings gründlich geändert.

Die Zeitung, die von einer Stiftung herausgegeben wird, hat sich unter dem Druck der Erdoğan-Regierung auf die türkische Presse mehr und mehr für alle linksliberalen, regierungskritischen Strömungen geöffnet und etliche Journalisten bei sich aufgenommen, die größere Medien vor die Tür gesetzt hatten. Einer von ihnen war Can Dündar, der Chefredakteur der Zeitung wurde und eine neue Ära einleitete.

Cumhuriyet ist die älteste Tageszeitung der Türkei. Gegründet 1924, war sie zunächst das Organ der Republikanischen Volkspartei, der von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten Einheitspartei des Landes. Seit den 1970er Jahren war Cumhuriyet dann so etwas wie die Journalistenschule der Nation. Fast alle bekannte Namen hatten irgendwann einmal bei ihr begonnen und setzten dann die Standards in der türkischen Presse.

Mit der zunehmenden Gleichschaltung der Presselandschaft wurde die nicht profitorientierte Zeitung immer wichtiger. Sie ließ sich weder kaufen noch einschüchtern. Sie druckte Karikaturen aus der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo nach. Sie enthüllte türkische Waffenlieferungen nach Syrien und brachte viele andere kleinere gesellschaftskritische Geschichten, die in anderen Medien nicht mehr erschienen.

Dafür hat die Zeitung einen hohen Preis bezahlt. Seit den 1970er Jahren wurden insgesamt sieben Journalisten und Autoren des Blattes ermordet. Mitglieder der Redaktion wurden angeklagt. Erst im März wurden Chefredakteur Can Dündar und Erdem Gül, Leiter des Hauptstadtbüros, zu jeweils knapp 6 Jahren Gefängnis verurteilt.

Zurzeit läuft der zweite Prozess gegen Gül und Dündar wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Dündar lebt seit Monaten in Deutschland und sieht für sich vorerst keine Möglichkeit, in die Türkei zurückzukehren. Jürgen Gottschlich

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