American Pie
: Himmlische Rückkehr

FOOTBALLDie Los Angeles Rams überzeugen trotz erschwerter Voraussetzungen bei ihrem Einstand nach langer Abstinenz

Da stand ein Mittsechziger am Spielfeldrand und bekam sich gar nicht mehr ein. Schob 100-Kilogramm-Wide-Receiver Jermaine ­Kearse einfach weg, stürmte zum Schiedsrichter – und protestierte doch erfolglos gegen eine ihm unverständliche Entscheidung. Spätestens zu Beginn des Schlussviertels am Sonntagabend war klar: Es war nicht die Rückkehr ins Los Angeles Memorial Coliseum, die sich Pete Carroll erhofft hatte.

Am Ende hieß es 3:9 aus Sicht von Carrolls Seattle Seahawks, die viele als Meisterschaftskandidaten sehen. Acht Jahre war der heute 65-Jährige Startrainer der National Football League (NFL) einst verantwortlich für die College-Footballer der University of Southern California, die hier ihre Heimspiele austragen. Von 2001 bis 2009 stand er den „Trojans“ vor, formte die Mannschaft zum Spitzenteam. Am Sonntag aber lief nichts zusammen.

Es war stattdessen der Höhepunkt einer triumphalen Rückkehr der NFL nach L. A. – und des ersten Heimspiels der wiederbelebten Los Angeles Rams. Bereits von 1946 bis 1994 spielte das Team in L. A., dann erfolgte der umstrittene Umzug nach St. Louis – und der Football-Mil­liar­denbetrieb verzichtete auf einen Nachfolgeklub in der sportbegeisterten Stadt. Vergeben und vergessen. „Ich war heute im Himmel“, twitterte Magic Johnson nach der Partie. Die Basketball-Legende der Los Angeles Lakers trommelte seit Jahren für eine Rückkehr des NFL-Teams nach Hollywood.

Ein Konzert der Red Hot Chili Peppers gab dem Comeback schon vor Spielbeginn den opulenten Rahmen, zahlreiche Stars und Sternchen waren zwischen den 91.000 Zuschauern. Der erste Sieg in L. A. seit 22 Jahren wurde lautstark zelebriert. „Es war einfach atemberaubend“, schwärmte Rams-Trainer Jeff Fisher. Zum Saisonstart vergangene Woche gab es noch eine deutliche 0:28-Niederlage bei den San Francisco 49ers. „Das war ein echter Adrenalinkick“, staunte Rams-Legende Jack Youngblood nach dem Spiel gegen Seattle. „So laut war es noch nie, seitdem ich ein Ram bin“, sagte auch Running Back Alec Ogletree, der noch die St.-Louis-Tage kennt.

Es ist indes ein schwieriger Spagat für das Team: Einerseits sollen die Fans aus alten Zeiten wieder herangeholt werden, andererseits liegt der Fokus auf neuen – jungen – Anhängern. Zum Saisonstart ist er gelungen. Die Euphorie wird nur schwer einzudämmen sein. „Ich will nicht noch mal eine Saison mit einer 7:9-Bilanz, oder 8:8 oder sogar 10:6“, kündigte Fisher schon vor wenigen Wochen an. „Diese Mannschaft ist einfach zu talentiert.“ Die Voraussetzungen für zeitnahen weiteren Ruhm sind allerdings nicht die besten: Seit 2004 haben die Rams nicht mehr die Playoffs erreicht, die Mannschaft hat ihre Schwächen, aber auch Hoffnungsträger. Der aktuelle Quarterback Case Keenum gilt als solide, Rookie ­Jared Goff als der Mann der Zukunft auf dieser Position. Running Back Todd Gurley war 2015 noch „Offensive Rookie of the Year“, steckt aktuell aber in einem Formtief.

Nicht ohne Grund sind die Rams nach zwei Runden das einzige Team, das noch keinen Touchdown erzielen konnte. Alle Punkte entstanden durch Field Goals. Klare Stärke ist die Verteidigung, die den sonst so offensiven Seahawks keinen Raum ließ. „Bei aller Freude über den Sieg müssen wir uns auch einigen Wahrheiten stellen“, warnt Fisher. Erschwerend hinzu kommt der Spielplan, womöglich der kräftezehrendste der Liga: 35.952 Flugmeilen werden die Rams in dieser Saison zurücklegen müssen, die meisten aller 32 Teams. David Digili