Angeknockte Einarmboxer

Das Zittern des Rumpfteams: Ohne Michael Ballack liefert die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen die Türkei eine dürftige Leistung ab, verliert 1:2 und verärgert sogar Coach Jürgen Klinsmann

AUS ISTANBUL TOBIAS SCHÄCHTER

Als Lukas Podolski in der 41. Minute abgezogen und den türkischen Torhüter Volkan zum allerersten Mal zu einer Parade gezwungen hatte, brach im Atatürk Olimpiyat Stadi großer Jubel aus. Dahinter verbarg sich jedoch nicht etwa Hohn über die klägliche Leistung der deutschen Nationalmannschaft oder Hochachtung über die gelungene Rettungstat des Keepers von Fenerbahce Istanbul. Die Männer sprangen von ihren Sitzen auf und schrieen ihre Freude in die Istanbuler Nacht, weil sie erfahren hatten, dass es in Kopenhagen 1:0 für Dänemark gegen Griechenland stand.

Es war ein seltsamer Abend. Nur rund 20.000 Zuschauer waren in die ungeliebte Atatürk-Arena gekommen, die weit im Westen der Metropole in einer unwirtlichen Ödnis gelegen ist. Die türkischen Medienvertreter schauten während der 90 Minuten mehr auf die Fernsehschirme, auf denen das für die Türken so wichtige WM-Qualifikationsspiel Dänemark gegen Griechenland zu sehen war, als auf den Rasen. Am Ende hatten in Istanbul die Türken durch Tore von Halil Altintop (25.) und Nuri Sahin (89.) mit 2:1 gegen eine sich ganz auf ihre Rolle als Statisten konzentrierende DFB-Auswahl gewonnen. Oliver Neuville gelang in der Nachspielzeit der Ehrentreffer für den DFB. Aber Fatih Terim, der Nationaltrainer der Türkei, machte sofort nach dem Spiel klar, was ihn und alle Fußballbegeisterten in der Türkei viel mehr bewegt hatte: „Das Erfreulichste heute ist der 1:0-Sieg Dänemarks“, sagte der 52-Jährige.

Nun können die Türken den zweiten Platz beim finalen Spieltag in der Qualifikationsgruppe 2 aus eigener Kraft verteidigen. Ein Sieg am Mittwoch in Albanien – und den Türken ist der zu Relegationsspielen berechtigende Rang nicht mehr zu nehmen. Dass die Türkei ausgerechnet bei einer WM in Deutschland fehlen könnte, kann sich Terim nicht vorstellen. „Alleine wegen der vielen Türken, die in Deutschland leben, wäre die Türkei eine Bereicherung“, glaubt er.

Ob dies die ohnehin qualifizierten Gastgeber um Nationaltrainer Jürgen Klinsmann sein werden, ist eine spannende Frage. Der über weite Strecken klägliche Auftritt in Istanbul nährte Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit im WM-Sommer. „Ich bin sehr, sehr unzufrieden und verärgert und habe meiner Verärgerung in der Halbzeitpause auch Luft gemacht“, sagte Klinsmann und kündigte an: „Wir werden uns auch intern sehr viel Kritik aussetzen.“ Die hatte es zuletzt auch so gegeben. Sorge, dass ihm bei nur noch sechs ausstehenden Freundschaftsspielen bis zur WM die Zeit zum Einspielen fehlen könnte, hegt Klinsmann nicht. Dennoch wurde dem Schwaben deutlich, dass es im „Verfeinern des Gesamtdefensivverhaltens sehr viel Arbeit gibt“.

Es war nicht überraschend, dass die jungen Innenverteidiger Mertesacker (21) und Sinkiewic (20) Fehler produzieren, ebenso wie Linksverteidiger Marcell Jansen (19). Rechts in der Viererkette aber ließ der vergleichsweise betagte Patrick Owomoyela (25) nichts unversucht, um zu beweisen, dass er auch ein Recht auf Patzer hat. Am enttäuschendsten dürfte für Klinsmann jedoch die träge Vorstellung seiner Mittelfeldreihe gewesen sein. Ohne den grippegeschwächten Michael Ballack vermochten Borowski, Schneider, Frings und Schweinsteiger den Türken keine Aggressivität entgegenzusetzen.

Ganz schwach agierte Thorsten Frings. In Halbzeit zwei wurden die Deutschen durch die Einwechslung Deislers etwas besser, auch weil die Türken im Hinblick auf das Albanienspiel gleich sechs Mann auswechselten. „Wenn ein Leader wie Ballack fehlt, traut sich auf dem Platz keiner lautstark zu kommunizieren“, beobachtete Klinsmann. Deutschland ohne Ballack agierte am Samstag wie ein einarmiger Boxer.

Noch sind viele Fragen offen: Schafft der lange verletzte Metzelder den Sprung ins Team? Hat Wörns noch eine Chance? Gesprächsbedarf melden auch die Trainer und Manager der Bundesliga an. Franz Beckenbauer will ein „Murren in der Liga“ vernommen haben. Kritik an Klinsmann gab es zuletzt von Trainern wegen der Leistungstests. Manager wie Schalkes Assauer zum Beispiel stellen auch immer wieder das leidige Thema um Klinsmanns Wohnort in Kalifornien zur Diskussion.

Fatih Terim riet den deutschen Journalisten, Klinsmann, Manager Oliver Bierhoff und Co-Trainer Joachim Löw zu vertrauen. Terim sagte: „Das sind große Namen des deutschen Fußballs. Sie werden bei der WM sehr erfolgreich sein.“ Terim ist ein gastfreundlicher Mann.