„Eine linke Regierung braucht solche Typen dringender denn je“
immer noch“
Das bleibt von der Woche Jenna Behrends (CDU) attestiert ihrer Partei ein Sexismusproblem, Raed Saleh (SPD) redet Tacheles, die Grünen hadern mit dem Innenressort in der neuen Regierung, und ein Flüchtling wird von einem Polizisten erschossen
Bis zum nächsten Aufschrei
CDU-Sexismusdebatte
Die Debatte zeigt eines: Wer als Frau aufschreit, verliert – immer noch
Was für eine Aufregung zu Wochenbeginn. Da veröffentlicht die junge CDU-Politikerin Jenna Behrends, gerade frisch ins Bezirksparlament Mitte gewählt, einen offenen Brief, in dem sie harte Sexismusvorwürfe gegen die eigene Partei erhebt: Statt sie als junge Frau zu fördern, würden Gerüchte gestreut, sie habe sich auf ihren Posten „hochgeschlafen“. Am Tag danach folgen Interviews, in denen sie insbesondere Innensenator Frank Henkel scharf angeht: Er habe sie als „große süße Maus“ bezeichnet und einen Parteikollegen gefragt: „Fickst du die?“
Für ungefähr fünf Minuten sind die Sympathien auf der Seite der 26-jährigen Jurastudentin. Dann kippt die Stimmung, und Behrends wird vom vermutlichen Opfer zur vermeintlichen Täterin gemacht: Sie sei selbst schuld, habe sich Männern geradezu „auf den Schoß gesetzt“, ließ Sandra Cegla, Vorsitzende der Frauen-Union Mitte, wissen.
Dass Sexismus ein grundsätzliches Problem ist, und zwar mit Sicherheit nicht nur in der CDU, dürfte kaum überraschen. Was deprimierend ist: wie immer gleich diese Sexismusdiskussionen ablaufen. Am Ende hätte sich die Frau besser die Bluse zugeknöpft („Schlampe!“) und ist selbst schuld, weil sie nicht einfach über einen „Herrenwitz“ – die Journalistin Laura Himmelreich über Rainer Brüderles Dirndlwitz, Behrends über die Maus – lachen konnte.
Am Ende der Woche steht Behrends als zweifelhafte Person da. Auch ihrer politischen Karriere dürfte der Brief geschadet haben. Und so zeigt die Debatte eines: Wer als Frau aufschreit, verliert – immer noch.
Die Berliner Frauen-Union will nun eine Arbeitsgruppe Sexismus einrichten. Grundsätzlich, heißt es, wolle man solche Vorfälle künftig „intern“ klären. Mit anderen Worten: Thema erledigt. Bis zum nächsten Aufschrei. Und der ist, so viel ist jetzt schon klar, bitter nötig.
Anna Klöpper
Argumente
Ein notwendiges Korrektiv
Die SPDund Raed Saleh
In ihren Hochzeiten war die SPD eine Partei der Kleingärtner und Sportvereine
Zweifellos sind es unangenehme Fragen, die Raed Saleh seinen Parteifreunden stellt: Was haben wir in den letzten Jahren falsch gemacht? Und: Wen wollen wir eigentlich repräsentieren?
Die These, die der Fraktionsvorsitzende der Berliner SPD Anfang der Woche formulierte: Die SPD habe die kleinen Leute aus dem Blick verloren, sie sei von einer vitalen Volkspartei zur sachverwalterischen Staatspartei geworden. Abgehoben und entfremdet.
Man muss den antielitären Jargon nicht teilen, um Saleh in der Sache zuzustimmen. In ihren Hochzeiten war die SPD eine Partei der Kleingarten- und Sportvereinsvorsitzenden. Die Sozialdemokraten waren vor Ort, hörten zu, kümmerten sich.
Aus diesem vorpolitischen Raum bezog die SPD ihre Kraft als Volkspartei. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihre Funktionäre als abgehoben zu bezeichnen. Sie waren die Kollegen, Kumpels, Nachbarn – authentische Repräsentanten ihrer Milieus, die die Sorgen und Nöte der Leute in Politik ummünzten.
Die SPD müsse wieder dahin gehen, wo es brodelt und stinkt, lautete Sigmar Gabriels Credo, als er Parteichef wurde. Allein: Es ist den Sozialdemokraten nicht gelungen, ihr Gespür für die Mentalitäten der einfachen Leute wiederzufinden – auch weil die SPD nicht mehr in den Kiezen verankert ist, ihre Funktionäre sich längst desinteressiert zurückgezogen haben oder schlicht zu alt sind.
Wenn man so will, ist der Politiker Raed Saleh im positiven Sinne aus der Zeit gefallen: Der Wahlkreis ist sein Kraftzentrum. Selbst Salehs Gegner zollen ihm Respekt für seine Kärrnerarbeit. In Spandau ist er „der Raed“, der da ist und anpackt. Er weiß, wie die Leute reden und was sie umtreibt.
Eine linke Regierung braucht solche Typen dringender denn je. Denn gewählt wurden Rote und Grüne vor allem von den Gebildeten und Gutsituierten. Will die neue Koalition aber nicht bloß Repräsentantin Neuberliner Bürgerlichkeit sein, müssen Stimmen wie die von Saleh ernst genommen werden. Sie sind ein notwendiges Korrektiv. Robert Pausch
Nur Rosinen picken geht nicht
Grüne Innenminister?
Mitregiert haben sie öfter. Bloß fürs Innenressort waren sie nie zuständig
Innen Minister, außen grün. So ließe sich ein Spruch umkehren, mit dem Joschka Fischer zu seiner Zeit als Außenminister für sich warb. Mitregiert, sogar den Chef gestellt haben die Grünen inzwischen öfter. Nicht nur Außen-, auch Finanz- und Wirtschaftsminister waren sie in diversen Bundes- oder Landesregierungen. Bloß für das Innenressort waren sie noch nie zuständig. In Berlin könnte sich das bei den mutmaßlich kommende Woche startenden Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linkspartei ändern – die Grünen müssten bloß wollen.
Doch auch 36 Jahre nach Grünen-Gründung schreckt in der Partei mancher vor dieser Aussicht zurück. Die Grünen könnten nur verlieren, heißt es dann, wenn sie künftig für Abschiebungen verantwortlich wären, für Häuserräumungen oder nicht ganz so friedlich verlaufende 1.-Mai-Einsätze. Ein Parteienforscher riet ihnen am Mittwoch in der taz ausdrücklich, sich auf ihre ökologische Kernkompetenz zu konzentrieren.
So kann man argumentieren. Dann allerdings verabschiedet man sich von dem Anspruch, über Umweltthemen hinaus ernst genommen zu werden. Die Grünen wären nicht viel mehr als der parlamentarische Ableger der Umweltverbände BUND und Nabu. Damit sprächen sie sich selbst das Recht ab, darüber hinaus mitzureden und Forderungen in der Innenpolitik stellen zu können. Denn wer kritisiert, muss auch zeigen, wie es besser gehen könnte.
Zum anderen gibt es in einer Regierung so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung auch für das, was in den von den Koalitionspartnern geführten Ministerien oder Senatsverwaltungen passiert. Zusammen regieren – und zwar mit dem Anspruch, dass das auf Augenhöhe passiert –, aber bei unangenehmen Entscheidungen stets die Wasserschale fürs zum Hände-in-Unschuld-Waschen in Reichweite haben, das geht nicht lange gut.
Wenn man aber die Entscheidungen anderer Senatoren ohnehin mitträgt und dafür mit in Haftung kommt, dann kann man auch gleich selbst den Innenminister stellen. Volker Ratzmann, der 2011 fast grüner Innensenator geworden wäre und heute baden-württembergischer Staatssekretär ist, war am Dienstag allerdings skeptisch, dass sich eine solche realistische Betrachtungsweise unter Berliner Grünen durchsetzt.
Behält er recht, hieße das auch, dass die Grünen sich ab sofort eigentlich mit allen Mitteln dagegen wehren müssten, nächstes Mal stärkste Partei zu werden und den Regierungschef stellen zu müssen. Denn der ist tatsächlich für alles verantwortlich. Doch wirklich sorgen müssten sich die Grünen deshalb kaum: Wer sich nur die Rosinen rauspickt, wird über die Rolle eines Juniorpartners und Erfüllungsgehilfen sowieso nicht hinauskommen.
Stefan Alberti
Voreiliger Ruf nach dem Taser
Tod durch Polizeikugel
Der Elektroschocker hätte ein tödliches Ende verhindern können, meint die CDU
Sofort war sie da, die Debatte über den Einsatz des Tasers. Am Dienstagabend haben Polizisten einen Flüchtling erschossen. Der Elektroschocker hätte ein tödliches Ende verhindern können, so der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz. Auch Bodo Pfalzgraf, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), nahm den Vorfall zum Anlass, seine Forderung nach Einführung des Tasers für die Schutzpolizei zu erneuern. Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bejamnin Jendro, hingegen warnte, bei einem blitzschnellen Angriff wie dem in Moabit sei der Taser keine Lösung.
Aktuellen Erkenntnissen zufolge hatten drei Polizisten auf den 29-jährigen Iraker geschossen. Getroffen wurde er nur von einer Kugel, die aber tödlich war.
Laut Polizei war der Mann mit einem Messer in der Hand aus der Unterkunft im Fritz-Schloß-Park in Moabit gerannt. Auf dem Vorplatz stand ein Polizeifahrzeug, in dem ein in Handschellen gefesselter 27-jähriger Pakistaner saß. Die Tür des Wagens stand offen. Der Pakistaner war wegen des Verdachts festgenommen worden, ein sechsjähriges Flüchtlingsmädchen im nahe gelegenen Park sexuell missbraucht zu haben.
Der Mann mit dem Messer war der Vater des Mädchens. „Das wirst du nicht überleben!“, soll er gerufen haben. Um den Angriff abzuwehren, hätten die Polizisten nach mehrmaliger Warnung geschossen, so die Polizeipressestelle. Der Iraker starb im Krankenhaus.
Eine Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen. Geprüft wird, ob die Schussabgabe erforderlich war, um einen „gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff“ abzuwehren; Notwehr oder Nothilfe nennt sich das. Kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss – was bei polizeilichen Todesschüssen in der Regel der Fall ist –, wird das Verfahren eingestellt.
Viele Fragen drängen sich auf. Warum vermochten die Beamten, die offenbar zahlreich vor Ort waren, den Iraker nicht anders zu stoppen? Wurde es versucht? Wenn ja, warum scheiterte das? Wie nah befand sich der Mann am Polizeifahrzeug, in dem der Pakistaner saß, als die Schüsse fielen? Und wie dicht kam er den Polizisten?
Fraglich ist, ob es darauf Antworten geben wird. Genau die sind aber erforderlich, um Lehren aus solchen Vorfällen zu ziehen. Und erst dann, wenn die Details bekannt sind, lässt sich darüber diskutieren, ob ein Taser das Leben des Irakers hätte retten können. Alles andere ist unseriös. Plutonia Plarre