FRANZÖSISCHKURS: In der VHS
Sie sah fesch aus und roch gut. Ich schämte mich. Wir hatten eine amüsante erste Stunde lang miteinander Übungen gemacht. Auf Französisch. Ich hatte ihren Namen erfahren, hatte sie aber unter „Sexbombe“ gespeichert, und dafür schämte ich mich.
In der zweiten Stunde war ich früh da. Der Lehrer stimmte seine Gitarre, die anderen tröpfelten in den steril wirkenden Raum und setzten sich auf dieselben Plätze, die sie in der ersten Stunde eingenommen hatten. Der Plan schien aufzugehen, der Sitz neben mir blieb frei. Die Sexbombe kam spät. Sie lächelte durch den Raum und setzte sich auf einen völlig anderen Platz als beim ersten Mal. In der Pause ließ sie sich die Hausaufgaben geben und verschwand. Sie kam nie wieder.
Draußen war das Wetter recht unfranzösisch. Der Lehrer erheiterte uns mit Chansons, Belgierwitzen und Geschichten, denen Sinn und Pointe fehlten. Er trug immer dasselbe ausgewaschene blasslila T-Shirt, war aber ein netter Kerl. In der letzten Sitzung gab er eine Flasche vermutlich exquisiten Rotwein aus, wir tranken ihn aus weißen Plastebechern, trockene Alkoholiker waren keine anwesend.
Der nächste Kurs begann eine Woche später, ich hätte ihn liebend gern belegt. Auch ohne die bebrillte Sexbombe hatte der Kurs Spaß gemacht. Schul-Erinnerungen waren aufgekommen. Alte Verhaltensweisen. Konzentration, Klassenkasperletum, Beobachten und Liebgewinnen der anderen, trotz ihres fremden Hintergrunds, man war eine Gemeinschaft geworden. Aber ich konnte terminlich nicht.
Ärger gab es in der Verwaltung. Ich hatte lange auf meinen Bescheid aus dem Wohnungsamt gewartet, um nicht die volle Kursgebühr zahlen zu müssen, die VHS wurde allmählich ungeduldig. Ich kam mit dem alten Bescheid und hatte die Laufzeit mit Kugelschreiber verlängert. Die Bürodame blinzelte mich unzweideutig an. Ich schämte mich. RENÉ HAMANN
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