Nein, die Schul-Polizei ist nicht bewaffnet: Mit den Nerven am Ende
Bridge & Tunnel
von Ophelia Abeler
Ich habe heute eine lebensrettende Information erhalten: Die Polizei an der Schule meines Kindes ist nicht bewaffnet! Also nicht ernsthaft jedenfalls, sie trägt nur Elektroschocker, Knüppel, Handschellen, Kabelbinder und eine schwere Taschenlampe bei sich, nicht jedoch Schusswaffen, Messer oder Tränengas.
Erfahren habe ich das von der nachmittags diensthabenden Polizistin, die ich gefragt habe, was sie denn so an ihrem Gürtel trägt. Es stellte sich heraus, dass sie findet, Waffen haben in der Schule nichts zu suchen, auch an Polizisten nicht – das sei schlicht zu unsicher, ein unbedachter Moment, und schwupps, hat ein Kind die Knarre in der Hand und dann gnade uns Gott, wie es dann weitergeht, „oh Lord, you don’t wanna know“.
Ich bin ein bisschen überrascht davon, dass die Polizistin meint, so einfach von einem Kind übertölpelt werden zu können, aber erleichtert, denn sollte ich im Lauf des Schuljahrs einmal ausrasten, kann ich nicht gleich erschossen werden.
Aber warum bin ich überhaupt kurz davor, die Nerven zu verlieren? Liegt es an den 71 Nachrichten, die ich heute über die von der Schule zur Kommunikation zwangsverordnete App „Konstella – Konnect Parents“ bekommen habe, übrigens nicht nur in der App, sondern zur Sicherheit auch noch in mein privates Postfach? Nachrichten der Parent-Teacher-Association (PTA), zum Schulfest, Fundraising, Curriculum-Meeting und dazu ebenfalls mit „pling“ eingehende Bestätigungen durch die anderen Eltern, „great job you’re doing here“, „thank you guys for making this possible“ usw.? Oder sind es die 29 grottigen Fotos vom uns allen bekannten Klassenraum, die „classroom parent“ Trisha megabyteweise hochgeladen hat, weil sie das „einfach teilen wollte“, und die mein Handy zum Absturz gebracht haben?
Oder ist es, weil mir klaustrophobisch zumute ist hier in der Eingangshalle der Schule, wo ich ja überhaupt nur stehe und mit der Polizistin rede, weil ich darauf warte, dass der Securitymann mein Kind aus der Cafeteria holt, wo es seit etwa einer Viertelstunde bei einem ungeheurem Lärmpegel in einem Pulk eingequetscht auf mich wartet, wie ich durch die Tür gesehen habe, bevor der Securitymann mich am Arm packte und wegzog, um meinen Ausweis zu kontrollieren und mich auf einer 30 Seiten langen Liste unterschreiben zu lassen, dass ich wirklich die Mutter dieses Kindes bin?
Mein Kind geht eigentlich noch gar nicht zur Schule, sondern in den Kindergarten, aber der ist in Amerika das, was bei uns das erste Schuljahr ist, mit Sportunterricht, Hausaufgaben und allem.
Ich komme mir vor, als holte ich jemanden aus dem Gefängnis ab, der Backsteinbau mit den vergitterten Fenstern, der hohe Eisenzaun drum herum, die durchs Megafon verzerrten Kommandos, das Desinfektionsmittel am Ausgang.
Auch das Essen ist wie im Knast, Chicken Nuggets, Burger, das Fleisch ungeklärter Herkunft, so es sich wirklich um Fleisch handelt, für den Käse in den Mozzarella-Sticks gilt dasselbe, falls es sich überhaupt um Käse und nicht evtl. um Fleisch handelt.
Mein Nervenkostüm ist also auch vom morgendlichen gleichzeitigen Frühstück- und Mittagessen-Machen durchgescheuert und von der Lektüre des Schnellhefters, den mein Kind täglich aus der Schule mitbringt, damit ich die darin enthaltenen Papiere unterschreibe.
Heute habe ich unterschrieben, dass mein Kind an der Kletterwand in der Turnhalle hochklettern darf, obwohl es dabei runterfallen könnte. Dass es montags Turnschuhe tragen muss, wenn es beim Sport mitmachen soll, wobei mir eine Seite lang die Funktionsweise von Turnschuhen erklärt wurde, und dass ich eine Woche je Trimester gesunde Snacks für alle liefern muss, Beispiel: Kekse, Apfelmus und Marmeladentoast.
Ich habe keinen Platz mehr, die tollen Seiten des Kindergartens aufzuschreiben, wie nett die Lehrer sind, wie sehr sie ihre Arbeit und die Kinder lieben. Das machen schon die amerikanischen Eltern für mich und ihr könnt es auf Konstella nachlesen. Der Zugangscode lautet HIUbHm.
Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York
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