Fluch der guten Tat

ANSPRÜCHE Der SC Freiburg siegt und siegt, die Spieler müssen bereits Fragen nach ihren Europapokal-Ambitionen beantworten. Warum dennoch ein paar Fans pfeifen, bleibt Trainer Christian Streich ein Rätsel

AUS FREIBURG CHRISTOPH RUF

Kalt war es in Freiburg. So kalt, dass die meisten Zuschauer nach den zwölf Minuten und zwölf Sekunden Stimmungsboykott aus der Fankurve auch danach wie festgefroren den 1:0-Sieg ihrer Mannschaft gegen Greuther Fürth zur Kenntnis nahmen. Christian Streich, der Freiburger Trainer, war sich jedenfalls nach dem Schlusspfiff sicher, dass es höchstens 20 Zuschauer waren, die im zweiten Durchgang die Finger in den Mund genommen haben, wenn einem SC-Akteur mal eine Aktion misslang.

Nun sind Unmutsäußerungen eine erstaunliche Reaktion angesichts einer Low-Budget-Mannschaft, die dem internationalen Geschäft näher ist als den Abstiegsrängen. „Diesen Leuten ist nicht mehr zu helfen“, fand Christian Streich deshalb auch und schaute dabei fast schon mitleidig drein. „Wahrscheinlich ist das ein inneres Bedürfnis und die pfeifen daheim den Hunden hinterher. Am besten denken wir, wir sind gar nicht gemeint.“ Der gemeine Sitzplatzinhaber, der zu Zweitligazeiten gern einmal zu Hause im Warmen blieb, fühlt sich offenbar nicht mehr ausreichend unterhalten, wenn der ersatzgeschwächte SC auch mal einen Fehlpass im Programm hat.

Solche Großbürger-Attitüden ärgern natürlich keinen mehr als die echten Fans des Vereins. Leute wie Carmelo Policicchio, der in Freiburg eine Kneipe betreibt, Inhaber des Wurststands hinter der Fankurve ist und mittlerweile so viele Kolumnen für die Stadionzeitung Heimspiel verfasst hat, dass der erste Schwung gerade als Büchlein gedruckt wurde. „Worte kommen meistens zu spät“, so der schöne Titel. In all den Jahren hat Policicchio immer wieder auch seine Empörung darüber geäußert, dass die Erwartungen von Fußballfreunden in krassem Missverhältnis zu ihrem Sachverstand stehen. „Jeder von uns Fans hat schon mal vor seinem geistigen Auge das entscheidende Tor im Champions-League-Finale geschossen“, behauptete er, „ein Leben ohne Träume ist einsam. Aber nur die Dummen unter uns vertauschen, ohne es zu merken, die Träume mit der Wirklichkeit.“

Nach einem Spiel, das in der ganz realen Wirklichkeit alles andere als hochklassig war, freuten sich die Angestellten des SC über die Punkte 21, 22 und 23 und nahmen amüsiert zur Kenntnis, dass sie nun tatsächlich schon nach ihren Europa-League-Ambitionen gefragt werden. Während die meisten Spieler sich gar nicht einmal zu verstellen brauchten, um irritiert aus der Wäsche zu schauen, verlegte sich der Trainer eher aufs Ironische. Er denke wirklich gern ans internationale Geschäft, „da mache ich mit meiner Freundin immer den Fernseher an, und wir schauen zusammen Fußball.“

Insgesamt 50 Zähler hat der SC im Kalenderjahr 2012 gesammelt, seit Streich das Zepter übernahm. „Aber heute“, relativierte Streich, „haben wir nicht so gut Fußball gespielt wie in den letzten Wochen.“ Zu einem Sieg hat es dennoch gereicht, weil Daniel Caligiuris schöner Drehschuss das einzige Tor (15.) des Tages blieb. Was wiederum daran lag, dass die unglückseligen Fürther einen schön anzusehenden Fußball spielten, sich vor dem Tor aber anstellten wie der Neandertaler beim Mammut-Filetieren. So auch in der 82. Minute, als Christopher Nöthe nach einem Fehler von SC-Keeper Baumann freie Schussbahn hatte, tatsächlich auch aufs Tor zielte, den Ball aber trotzdem nicht dort unterbrachte, weil im letzten Moment der Freiburger Krmas in die Flugbahn grätschte und den Ball an den Pfosten lenkte, von wo aus er ins Feld zurückprallte. Für Fürth ist das schon normal: Der Aufsteiger bekommt selbst bei klaren Fouls keine Elfmeter zugesprochen, er trifft das leere Tor nicht und schießt fünfmal hintereinander den gegnerischen Torwart an.

„Jede Woche die gleiche Scheiße“, hat Mittelfeldmann-Mann Stephan Fürstner deshalb ganz richtig ausgemacht. Und sich gar nicht mehr getraut darauf hinzuweisen, dass man spielerisch in fast jeder Begegnung Bundesligaformat hat. Das erledigte dann Christian Streich an seiner Stelle. „Ich habe in dieser Saison alle Spiele der Fürther gesehen“, sagte er. „Wenn du siehst, wie die spielen – taktisch und spielerisch mit den Mitteln, dann muss es dir als Sportler echt leidtun, dass ihnen so viele Punkte fehlen.“